Jougla

Jean-Pierre JOUGLA, UNADFI

 

Das Sektenlobbying – Teil 2

 

Zwei Zugänge sind zum Sektenlobbying möglich:

 

  • Ein erster analytischer Zugang, durch den Sektor der Aktivität und der politischen Durchdringung – Bildung, Gesundheit, humanitäre Hilfe, persönliche Entwicklung, pseudoreligiöse Sphäre  …; es handelt sich hier um ein Lobbying der „klassischen“ Type, im Großen und ganzen mit dem Lobbying von Unternehmen vergleichbar; es handelt sich darum, die Rechte oder die Interessen von sektiererischen Gruppen oder von Abwegen sektiererischer Natur zu vertreten und zu verteidigen, durch eine Information, die vom Einfluss bis zur Vergiftung reicht, bei privaten oder öffentlichen Organisationen, die dafür empfänglich sind, Entscheidungen zu treffen, die die Interessen oder die Rechte der erwähnten Sekten betreffen. Dies ist der Zugang, der in der Vierteljahreszeitschrift der UNADFI, Bulles Nr. 88, im Dezember 2005 behandelt wurde und auf den ich Sie verweise.

Außer den klassischerweise offenkundigen Fallstricken, denen die Lobbyisten ausgesetzt sind (ich erwähne hier die neuliche Anklage des Betrugs in der Höhe von 82 Millionen Dollar, der Anklage der Verschwörung und des betrügerischen Kapitaltransfers, die einem professionellen Lobbyisten in Washington zur Last gelegt werden), ist das Lobbying eine Infragestellung der Basis unserer Gesellschaften. Dieses Lobbying stellt in sich selbst eine Gefahr für unsere politischen Strukturen dar, ganz so wie das klassische Lobbying auf ökonomischer Ebene, in dem Maße als die politischen Strukturen immer mehr die Tendenz haben, den Grund ihrer Legitimität eher in den Einflussprozessen oder dem ausgeübten Druck  als in Wahlergebnissen zu suchen, was wahrhaft einen Rückschritt bezüglich des modernen demokratischen Funktionierens bedeutet.

 

  • Ein anderer Zugang des sektiererischen Lobbying kann im Begriff des Paradigmenwechsel [1] gedacht werden.

 

Dieser zweite Zugang, der unsere Aufmerksamkeit beansprucht, weil es einerseits den Sekten gemeinsam ist, einen Paradigmenwechsel zu verfolgen und sie sich dieses Projektes als vereinigenden Elements bedienen, in einer genau seit 1980 gemeinsam verübten Weise, dem Erscheinungsdatum des Kultgründungsbuchs des New Age, „The Aquarian Conspiracy [2] von Marilyn Ferguson, und andererseits weil dieser Zugang von solcher Natur ist, dass er uns unsere Mängel bei unserem Versuch, die Opfer der Sekten zu verteidigen, bewusst macht.

Seit einigen Jahren zielt das Eigentliche der Aggressivität des sektiererischen Lobbying auf diesen Aspekt des Paradigmenwechsels und nicht nur auf die Propaganda, die diese oder jene sektiererische Gruppe sich direkt verschaffen kann, indem sie sich auf bestimmte entgegenkommende Medien stützt. Diese paradigmatische Diskussion verläuft parallel mit der Entwicklung der allgemeinen Diskussion über die Minderheiten, die Relativität der Werte usw.

Jeder Aspekt des öffentlichen Lebens ist durch diese von den Sekten verbreiteten Bemühungen, dem Denken einen angeblich neuen Sinn zu geben, betroffen; alles wird Zielscheibe im kommerziellen Sinn im neuen Sektenmarkt.

 

Ich führe einige Bespiele an:

  • Infragestellung der Grundlagen der modernen Medizin (ich spreche nicht einzig und allein über die Neue Germanische Medizin des Herrn Hamer, sondern über die „Energiewelle“, die im Gefolge der fälschlicher Weise sanft genannten Medizinen auf uns zukommt),
  • Infragestellung der Bildungsgrundlagen ( Steinerschulen, Indigokinder, usw.),
  • Infragestellung des unternehmerischen Managements durch die Schieflage verschiedener Ausbildungen …

 

Die Aufzählung der Beispiele könnte fortgesetzt werden, was uns aber interessiert, ist, die Tatsache ans Licht zu bringen, dass es hinter jeder dieser konkreten Aktivitäten ein theoretisches Fundament gibt, das als Unterbau dient und das nach nicht mehr oder weniger trachtet, als die Gesellschaft zu verändern, indem es die Paradigmen verändert. Es geht nicht darum, mich in irgendeine konspiratorische These zu verbohren, sondern darum, einfach die durch The Aquarian Conspiracy“ klar ausgedrückten Ambitionen darzustellen, wie sie von Marilyn Ferguson selbst genannt werden.

Die sektiererischen Paradigmen interessieren uns in höchstem Maß, denn sie dienen als Zement des sektiererischen Zusammenhalts auf zwei Ebenen:

 

  • zunächst als Zement auf der Ebene der Anhänglichkeit der Anhänger an die Doktrin, die logischerweise die sektiererische Vereinnahmung der Anhänger bildet, eine Vereinnahmung, die auf den Paradigmen aufgebaut ist, die man teilt;
  • dann interessiert uns der Paradigmenwechsel, der von den Sekten gepredigt wird, weil er ebenfalls, diesmal auf Gruppenebene, zugleich der Motor des sektiererischen Lobbying und die letzte Form dieses Lobbying in dem Maß ist, als das sektiererische Projekt ein Projekt politischer Natur ist im Sinne der Herstellung einer Machtbeziehung in der Gruppe, mit der Bestimmung, in die profane Gesellschaft exportiert zu werden.

Machtbeziehungen, die einerseits zwischen der Gruppe und dem Guru bestehen, andererseits als soziales Funktionsmodell, das in der äußeren Welt wiederholt werden soll.

 

Unser Zugang zum Sektenphänomen ist der aus der Sicht der Opfer: Dieser hat uns zu verstehen erlaubt, dass die Unterwerfung des Anhängers unter die Ansprüche des Gurus einer der grundsätzlichen Sektengefahren darstellt, dass aber ebenso diese Unterwerfung nur erfolgen kann, wenn es eine Anhänglichkeit an eine Doktrin gibt, deren Einfluss umso viel stärker ist, wenn sie durch einen Paradigmenwechsel unterstützt wird.

Wenn die Doktrin nicht Trägerin des Projekts des Paradigmenwechsels ist, hat sie keine Chance, sich zu behaupten.

Mehr als die klassische politische Durchdringung der Strukturen unserer Zivilgesellschaft ist das Ziel der modernen Sekten die Änderung der Denkweise unserer Zeitgenossen, da die Banalisierung des doktrinären sektiererischen Inhalts quer durch die Literatur oder durch verschiedene „profane“ Unterstützungen unsere Zeitgenossen darauf vorbereitet, für jene Doktrinen durchlässig zu werden, welche durch die Vielzahl der abwegigen Gruppen vermittelt werden. Es genügt, die volkstümliche Presse und einige Publikationen mit psychologischem Anspruch zu lesen, um sich davon zu überzeugen. Das Ziel, der Paradigmenwechsel, ist schwierig zu erkennen, denn die Änderungen der Vision von der Welt ereignen sich innerhalb eines jeden von uns. Diese Änderungen haben mitunter schwerwiegende Folgen, denn sie zielen auf nichts weniger als darauf, die Grundlagen unserer modernen Gesellschaften zu untergraben und dadurch die Menschenrechte anzugreifen.

Eine unleugbare Illustration dieses Prozesses findet man im Ansturm westlicher sektiererischer Gruppen nach dem Osten, der dem Zusammenbruch der UdSSR folgte, um sich der verödeten „neuen psychischen Territorien“ zu bemächtigen, deren altes Paradigma in Scherben fiel.

Diese Durchdringung des kollektiven Denkens durch die „neuen“ Paradigmen, die als aus sich selbst kommend empfunden werden, stellen die neue hinterhältige Form des Sektenlobbying dar, das unsere Vereinigungen auf der Ebene einer Bewusstwerdung und auf der Ebene einer konzertierten und kohärenten Reaktion  herausfordern sollte.

Das Sektenlobbying, so hinterhältig es ist, manifestiert sich in diesen letzten Jahren mit immer mehr Arroganz. Es wird immer sichtbarer, gerade weil es überzeugt ist, auf dem Weg zu sein, den Paradigmenwechsel zu verwirklichen und dabei Erfolg zu haben.

Um das sektiererische Streben nach Paradigmenwechsel zu illustrieren, sagen wir etwas darüber, was in Wirklichkeit das angeblich neue Sektenparadigma ist. Die sektiererische Trödlerware könnte rund um einige Achsen organisiert werden, die missbräuchlicherweise als „neu“ dargestellt werden, obwohl es sich einfach um einen Neuaufguss alter Träume handelt, die alle gleichzeitig die Vernunft und das ablehnen, was wir das philosophische Erbe der Aufklärung zu nennen übereingekommen sind. Wenn einmal der Betrug des Neuen angeprangert ist, verbleiben (als Bestandteile der Sektenparadigmen) die Erhebung des Gefühls über die ozeanische Verschmelzung, der Glaube an eine Welt, die von Geistern bevölkert und von spirituellen Energien durchzogen ist, die Überzeugung von der Allmacht des Geistes, der Glaube an ein holistisches Konzept, die Illusion, gemäß der eine objektive Realität durch eine Rekonstruktion der Phantasie ersetzt werden könnte, die stammesmäßige Abhängigkeit von der Allmacht eines selbsternannten Leiters, der seine Anhänger an eine Befreiung der individuellen Bestimmungen glauben lässt, usw.

 

III. Die Kräfte gegen das Sektenlobbying

 

Unsere Tätigkeit zugunsten der Opfer der Sekten erduldet in einer offensichtlichen Weise das Sektenlobbying. Erinnern wir uns nur einfach an die Beschwerden der europäischen Parlamentarier gegen die Anerkennung der FECRIS als INGO. Erinnern wir uns auch an die „schwarze Propaganda“, die in jedem Land gegen unsere Vereinigungen und sogar gegen Behörden ausgeübt wurde.

Aber in unseren Vereinigungen stellen wir täglich die Verwüstungen fest, hervorgerufen bei den Anhängern durch die Inkraftsetzung der Sektenparadigmen. Diese Feststellung bringt uns dazu, die Sektenstrategien ständig zu analysieren.

Wir können nicht passiv bleiben und wir finden uns der Notwendigkeit gegenüber, unsererseits als System des Gegen-Lobbying zu handeln.

Die Gegenkräfte, die unsere Vereinigungen darstellen können, setzen voraus, dass sie fähig sind, eine fruchtbare (Gegen-) Information zu vermitteln, und in dieser Perspektive habe ich auf der Frage des Paradigmenwechsels bestanden.

Die Gegenkraft setzt die Ausarbeitung einer klaren Idee voraus und dies insbesondere auf der Ebene dessen, worauf sich unsere Werte begründen, das heißt auf der Ebene unserer eigenen Paradigmen.

Es ist nicht meine Aufgabe, diese zu beschreiben, aber es scheint mir, dass die Bemühungen unserer Vereinigungen danach streben sollten, in den kommenden Jahren eine gemeinsame Achse auszuarbeiten.

Wenn einmal die gemeinsamen Nenner unserer Tätigkeit identifiziert sind, dann müssen wir die Adressaten unseres Lobbying festlegen. Dies könnten sein:

Die Ministerien

Die Administrationen

Das Parlament

Die juristischen Instanzen

Die Medien: gleichzeitig um die Information über das Sektenphänomen weiterzugeben und die Fehler zu erklären, welche die Medien bisweilen begehen könnten.

Wir müssen die Sektoren der Aktion auswählen: Gesundheit, Justiz, Erziehung, Bildung, Unternehmen …

FECRIS muss sich die Mittel verschaffen, um ihre Expertise darzustellen, um ihre Kompetenz in der Angelegenheit der Analyse des Sektenphänomens und in der Hilfe für die Opfer der Sekten zu legitimieren, um die Ziele, die in ihren Statuten enthalten sind, darzustellen und zu verteidigen, durch eine rigorose, verifizierbare und reziproke Information der privaten und öffentlichen Organismen, die fähig sind, Entscheidungen im Einklang mit den Zielen zu fällen.

Deshalb muss jeder von uns darangehen, die Paradigmen zu analysieren und zu verstehen, auf denen die Menschenrechte und die fundamentalen Freiheiten beruhen, um jenen, welche die normative Macht innehaben, die Beeinträchtigungen zu erklären, deren Opfer diese fundamentalen europäischen Werte seitens der Gruppen sektiererischer Vereinnahmung sind.

Das Lobbying entspricht einer bestimmten Form des Managements, das durch eine strategische Reflexion beherrscht wird. Es geht daher darum, unsere Paradigmen neu zu begründen , an die wir uns halten müssen, und den lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Instanzen zu erklären,  was das sektiererische Lobbying bedeutet und was sich  hinter dem Ziel der Kulte, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, verbirgt.

 

[1] Definition von Marilyn Ferguson: “Ein Paradigma ist eine Art von intellektueller Struktur, welche das Verständnis und die Erklärung bestimmte Aspekte der Wirklichkeit erlaubt … Ein Paradigmenwechsel ist zweifellos eine neue Art, über die alten Probleme zu denken”.

In der Philosophie handelt es sich um die Ablehnung der platonischen Konzepte, nach denen die Welt der Ideen der Prototyp der sichtbaren Welt ist, in der wir leben.

[2] „The Aquarian Conspiracy“, Marilyn FERGUSON, 1980, „Les Enfants du Verseau. Pour un nouveau Paradigme“, französische Ausgabe Calman-Levy, 1981