Malmendier

Jean-Pierre Malmendier

Bundesabgeordneter, wirkliches Mitglied der Justizkommission, Berichterstatter der Arbeitsgruppe, beauftragt mit der Sicherstellung der Befolgung der Empfehlungen der belgischen parlamentarischen Enquetekommission bezüglich der ungesetzlichen Praktiken der Sekten

 

Vorstellung des Berichts im Namen der Arbeitsgruppe, beauftragt mit der Sicherstellung der Befolgung der Empfehlungen der parlamentarischen Enquetekommission « Sekten »

 

 

Ein großer Dank, dass Sie daran gedacht haben und zunächst Herrn Monfils [1] eingeladen haben, der einen Gesetzesvorschlag vorlegen sollte, der den Missbrauch der Schwäche von Personen unter Strafe stellt, und der es vorgezogen hat, mich als den Berichterstatter der Arbeitsgruppe zu delegieren, die ihre Schlussfolgerungen der Presse vorlegen wird, und für Sie wird das ein Vorgenuss sein, angesichts des Umstandes, dass diese noch nicht in der Vollversammlung der Kammer vorgelegt wurden und daher auch noch nicht mit allen Kollegen diskutiert wurden. Nichtsdestoweniger gibt es bereits eine Übereinstimmung darüber, dass diese Arbeit ausgezeichnet ist und dass die Schlussfolgerungen völlig zutreffend sind.

Auf die Initiative unseres Kollegen, Herrn André Frédéric [2] hat die Präsidentenkonferenz der Abgeordnetenkammer zugestimmt, diese Arbeitsgruppe zu gründen, die beauftragt ist, alle Regierungsmitglieder nach der Befolgung der Empfehlungen der Enquete von 1997 in jeder ministeriellen Abteilung zu befragen, die Entwicklung des Sektenphänomens zu beurteilen und Empfehlungen zu formulieren, die der neuen Situation angepasst sind.

Diese Arbeitsgruppe wurde am 24. Juni 2004 mit je einem Mitglied aus jeder Partei gegründet und hat sich fünfzehnmal unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen.

 

Es wurden angehört:

–         der staatliche Sicherheitsdienst

–         die administrative Koordinationszelle des Kampfes gegen die schädlichen sektiererischen Organisationen

–         das Zentrum für Informationen und Gutachten bezüglich der schädlichen sektiererischen Organisationen (CIAOSN)

–         die Bundespolizei

–         der Bundesprokurator

–         der Bundesmagistrat

–         der Prokurator von Lüttich, Herr Visart de Bocarmé

–         Frau Laurette Onkelinx, Vizepremierminister und Justizminister

–         Herr Patrick De Wael, Vizepremierminister und Innenminister

–         Herr Rudy De Motte, Minister für soziale Angelegenheiten und öffentliche Gesundheit, und

–         Herr Philippe Vuilque, Abgeordneter, Vorsitzender der Studiengruppe bezüglich der Sekten in der französischen Nationalversammlung

 

Die Arbeitsgruppe hat am 12. 10. 2004 dem CIAOSN einen Besuch abgestattet. Die Feststellungen der Gruppe wurden auf verschiedenen Ebenen gemacht.

Zunächst eine Beurteilung der Situation.

Wir haben festgestellt, dass die Aktivitäten der sektiererischen Organisationen sich in unserem Land nicht vermindert haben. Sie sind weniger sichtbar und die sektiererischen Organisationen machen daher getarnte Fortschritte.

 

Seit 1999 hat CIAOSN die Tätigkeit von 598 Gruppen überprüft, von denen 1997 nur 94 erwähnt wurden. Es handelt sich um die Eröffnung von Akten und nicht von Listen schädlicher sektiererischer Organisationen. Die Klagen bei CIAOSN über die schädlichen sektiererischen Organisationen verteilen sich auf folgende Weise und der Vorsitzende des Zentrums, Herr de Cordes, wird Ihnen sicher mehr Einzelheiten darüber mitteilen. Man stellt auch eine Zunahme kleiner Strukturen mit wechselnden Namen fest, die auf eine diffusere und schwieriger erkennbare Weise agieren.

Besonders Gruppen von Pfingstlern und aus dem nordamerikanischen Protestantismus hervorgegangene Evangelisten oder Dissidenten nehmen derzeit einen bedeutenden Platz ein.

Man stellt in diesem Moment des Verschwindens der großen ideologischen Systeme fest , wo das Individuum auf der Suche nach sich selbst und seinem Wohlbefinden ist, eine Zunahme im Bereich der Gesundheit, der persönlichen Entwicklung, der beruflichen Weiterbildung und im Rahmen der großen humanitären Aktionen.

Alle sektiererischen Praktiken scheinen nicht das Interesse der Behörden oder der Ärzteschaft zu wecken. Wenige Maßnahmen gegen die unerlaubte Ausübung der Medizin wurden im Rahmen der Sektenproblematik ergriffen.

Das Fehlen einer Berufsordnung für Psychotherapeuten stellt ebenso eine Gefahr dar. Bestimmte Organisationen verfügen oft über sehr beträchtliche finanzielle Mittel und es ist für die Behörden sehr schwierig, die wirklichen vermögensrechtlichen Reichtümer dieser sektiererischen Organisationen zu eruieren.

Wir haben auch ein völliges Fehlen von Spezialausbildung auf allen polizeilichen und gerichtlichen Aktionsebenen festgestellt. Die Kenntnis des Phänomens ist bruchstückhaft und ein Bedarf an Ausbildung macht sich bemerkbar. Man muss alle damit Befassten sensibilisieren, von Bundesebene bis zur örtlichen Polizei. Das CIAOSN kann Personen, die es wünschen, Ratschläge auf juristischer Ebene geben. Wenn die Fakten für einen strafrechtlichen Tatbestand ausreichen, dann übermittelt es die Informationen an die Justiz.

Die Enquetekommission von 1997 enthüllte das Fehlen verfügbarer materieller und menschlicher Mittel in den verschiedenen Diensten. Ebenso ist es heute. Angesichts der Aktualität betreffend den Terrorismus wird der Kampf gegen die schädlichen sektiererischen Organisationen nicht als Priorität betrachtet.

Die Arbeitsgruppe wünscht auch die Einführung einer neuen strafrechtlichen Bestimmung. Das belgische strafrechtliche Arsenal reicht aus, um diese Praktiken zu ahnden, aber es wird schlecht angewendet. Die Artikel 7bis und 35 des Strafrechts erlauben bereits die Auflösung von nicht auf Gewinn ausgerichteten Vereinigungen, die strafbare Taten begehen.

Die Aufmerksamkeit der Arbeitsgruppe wurde auf das Gesetz von 7. Juli 2002 gerichtet, das Regeln bezüglich des Schutzes von bedrohten Zeugen und andere Bestimmungen enthält.

In ihren Empfehlungen regte die Enquetekommission von 1997 bereits die Einführung einer neuen Bestimmung an, welche auf die Bestrafung des Missbrauchs der Schwäche und die Herausforderung zum Selbstmord hinzielt. Diese Empfehlung wurde ebenfalls von der Arbeitsgruppe wiederholt.

In Frankreich schließt das Gesetz About-Picard vom 12. Juli 2001 den betrügerischen Missbrauch des Zustandes der Unwissenheit oder der Situation der Schwäche mit ein. Es betrifft ebenso die Herstellung des Zustandes der psychologischen oder physischen Unterwerfung, die durch Ausübung schweren und wiederholten Drucks oder von Techniken zur Änderung der Urteilsfähigkeit erreicht wird..

Auf der Ebene der Zusammenarbeit mit europäischen und internationalen Instanzen haben die Kontakte im Wesentlichen auf Bundesebene stattgefunden, die die Rolle der Koordination und Information hat.

Frankreich und Belgien arbeiten eng zusammen. Die Staatssicherheit verfügt über örtliche Sektionen, die regelmäßige Kontakte mit ihren angrenzenden Entsprechungen haben.

 

Die Ungleichheit der europäischen Gesetzgebungen bezüglich der Sekten ist oft ein Hindernis zur Koordinierung der Aktionen. Die europäischen Institutionen, bevorzugte Ziele eines intensiven Lobbyings sektiererischer Organisationen, sind an dieser Problematik nur wenig interessiert. Der Unterschied der Konzepte zwischen Nordeuropa und den angelsächsischen Ländern einerseits, und Ländern wir Deutschland, Frankreich, Belgien und den östlichen Ländern andererseits behindern eine gute Zusammenarbeit. Europol hat bis zum heutigen Tag keine Analysekartei betreffend die Sektenproblematik angelegt.

Betreffend Verstöße gegen die Sozialgesetzgebung hat bereits die Enquetekommission von 1997 festgestellt, dass bestimmte Organisationen die Arbeitskraft ihrer Anhänger ausbeuten, aber die sozialen Inspektionsdienste sind mit der Jurisprudenz konfrontiert, gemäß der die Anhänger und Leiter einer sektiererischen Organisation nicht an einen Arbeitsvertrag gebunden sind. Ein erster Versuch einer Lösung wurde jedenfalls durch das Gesetz vom 3. Juli 2005 bezüglich der Rechte Freiwilliger geschaffen.

Was CIAOSN betrifft, hat das Zentrum seit seiner Gründung 204 Akten über jene Gruppen angelegt, die nicht in der synoptischen Tafel erwähnt waren, die dem Bericht der parlamentarischen Enquetekommission angefügt war.

Ich überlasse es seinem Vorsitzenden, Herrn de Cordes, im Einzelnen die Ziffern zu erläutern, die mitgeteilt wurden, aber wir haben bemerkt, dass eine stärkere mediale Vermittlung ihrer Arbeiten nützlich wäre, was natürlich die Bewilligung finanzieller und menschlicher Mittel nötig macht.

Betreffend die administrative Zelle der Koordination des Kampfes gegen die schädlichen sektiererischen Organisationen: im Gegensatz zum Zentrum scheint sie uns heute wegen ihrer zu weiten Zusammensetzung, ihres Mangels an Räumen und an materiellen Mitteln sich in Lethargie zu befinden. Auch wegen des Fehlens eines wirksamen Sekretariats. Da ein neuer königlicher Erlass die Zusammensetzung festlegt, wurde die Tätigkeit der administrativen Zelle vom Ministerrat am 25. November 2005 genehmigt und Herr Pasteel hat uns mitgeteilt, dass sie am nächsten Mittwoch (dem 29. März 2006) veröffentlicht wird.

Die Kinder und die Sektenproblematik haben unsere Arbeitsgruppe ebenfalls herausgefordert und wir stellen fest, dass die Sekten einen Bruch mit der äußeren Welt herbeiführen und den Kindern eine Lebensweise, gleichgeschaltete Werte und eine Bildung auferlegen, die mit ihrem eigenen Lebensrhythmus unverträglich sind. Auch die medizinische Betreuung ist oft unzureichend. Bestimmte Organisationen haben es besonders auf Heranwachsende abgesehen, ein fragiles Publikum mitten in der Suche nach Identität. Das Internet stellt in diesem Zusammenhang ein wichtiges Medium dar, das die sektiererischen Maßnahmen begünstigt. Zwei Projekte versuchen, Lösungen gegen die Gefahren des Internet zu bieten. Es handelt sich um Educanet und um Safer Internet.

 

Die Rolle der Medien

 

Die Rolle der belgischen Medien in vorbeugender und erzieherischer Hinsicht sollte ermutigt und entwickelt werden.

Betreffend die Empfehlungen werde ich die hauptsächlichen Punkte erwähnen, um nicht zu lange zu werden, und Herr de Cordes hat einige Beispiele des Berichts zur Ihrer Verfügung, in denen Sie mehr Einzelheiten finden werden.

Es gibt elf Empfehlungen:

 

  1. Organisierung einer Sensibilisierung und einer gründlichen Bildung der verschiedenen betreffenden Behörden und Dienste, eine Verstärkung der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches und der Errichtung einer ständigen Koordination der Aktivitäten zwischen den verschiedenen Instanzen

 

  1. Die Ausarbeitung eines Aktionsplans des Kampfes gegen die schädlichen sektiererischen Praktiken für die juristischen Instanzen, die Dienste der Polizei und des Staatssicherheitsdienstes.

 

  1. Aufstockung der Aktionsmittel der Behörden und der juristischen Dienste, der Polizei und des Nachrichtendienstes.

 

  1. Intensivierung der Zusammenarbeit mit den europäischen und internationalen Instanzen.

 

  1. Bessere Anwendung des strafrechtlichen Arsenals – Änderung bestimmter vorhandener Bestimmungen.

 

  1. Spezielle neue strafrechtliche Bestimmung : vor allem der Gesetzentwurf, der von Herrn Monfils vorgelegt wurde und der die Elemente des Gesetzes About-Picard aufnimmt, die den begangenen Missbrauch gegenüber Personen im Zustand der Unwissenheit oder in der  Situation der Schwäche betrifft.

 

  1. Eine bessere Anwendung der Gesetzgebung im sozialen und medizinischen Bereich – eine verstärkte Tätigkeit der Behörden auf diesen Gebieten. Man bezieht sich hier insbesondere auf das Statut der Psychotherapeuten und ebenso auf gewisse « spirituelle » Praktiken, die dazu dienen sollen, die traditionelle Medizin zu ersetzen.

 

  1. Das CIAOSN, man kann sagen, das einzige zufolge den Empfehlungen der Enquetekommission von 1997 verwirklichte Element, sollte verstärkt werden. Das Personal sollte stabilisiert werden, um eine bessere Kontinuität der Arbeit zu gewährleisten. Das Zentrum könnte eventuell auch als Bildungszentrum für alle anderen Beteiligten in der Problematik dienen.

 

  1. Dann die administrative Zelle der Koordination des Kampfes gegen die schädlichen sektiererischen Organisationen: das Funktionieren dieser Zelle muss unbedingt optimiert werden und ich denke übrigens, dass die Frau Minister sich darum in dem Gesetzesentwurf kümmern wird, den sie am Ende des Monats vorlegen wird.

 

  1. Es handelt sich auch darum, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen – Intensivierung der Information, besonders um zu vermeiden, dass Verstöße vorkommen. Ich denke hier an die Entführung von Kindern oder an das Anzapfen von Bankkonten, so dass man handeln kann, bevor der Schaden eingetreten ist, statt sich dann in der Situation zu befinden und warten zu müssen, bis es oft zu spät ist.

 

  1. Auch eine bessere Kontrolle des Marktes der beruflichen Weiterbildung und eine bessere Kontrolle des Internet  Es ist eine Tatsache, dass sich bestimmte Sekten auf die berufliche Weiterbildung spezialisiert haben und es ihnen mit Hilfe von Untergruppen gelingt, ganze Unternehmen zu durchdringen und bisweilen nicht die kleineren. Manchen ist es sogar gelungen, von den Bildungsschecks zu profitieren.

 

Das sind also die Empfehlungen, die auf der Ebene der Bundesbehörden angenommen wurden, ich würde sagen, von allen Ministerien gemeinsam.

Wir haben auch den Wunsch, unsere Überlegungen den Gemeinschaften und den Regionen mitzuteilen. Sie wissen, dass Belgien, für jene, die nicht aus diesem Lande sind, auf der institutionellen Ebene sehr kompliziert ist, und daher senden wir unsere Wünsche dorthin, vor allem

–         eine Tätigkeit der Vorbeugung für die Jugend zu entwickeln und die Bildungsprogramme an den Schulen zu verallgemeinern,

–         die vorbeugende und bildende Tätigkeit der Medien zu ermutigen,

–         die Kontrolle des häuslichen Unterrichts oder des Unterrichts in privaten nicht anerkannten Instituten zu verstärken,

–         die Ärzteschaft über ihre Grundbildung hinaus über die physischen und psychologischen Schäden zu informieren, die einem Individuum zustoßen können, wenn es sich einer schädlichen sektiererischen Organisation anschließt,

–         ein Programm der Sensibilisierung in den Gesundheitseinrichtungen vorzusehen,

–         auch die Aufnahme verletzlicher Personen daheim zu kontrollieren,

–         eine Hilfsstruktur zu errichten, deren Personal das Sektenphänomen genügend kennt und fähig ist, konkrete psychologische und soziale Hilfe zu leisten, die ehemaligen Mitgliedern und Opfern der schädlichen sektiererischen Praktiken ebenso wie ihren Familien angemessen ist,

–         eventuell die Kontrollmaßnahmen durch ein Basisübereinkommen über eine vorherige und genaue administrative Untersuchung der Bildungsgesellschaften im Rahmen der Prozeduren der Vergabe von Subventionen oder Bildungsschecks in den Regionen zu intensivieren.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, ich war in meinem Stil etwas telegraphisch, aber ich wollte nicht zu sehr die Zeit der anderen Personen schmälern, die sicher ebenso wichtige Themen vortragen werden wie jenes, das ich Ihnen vorgestellt habe.

 

[1] Philippe Monfils, Staatsminister, Mitglied der Abgeordnetenkammer

[2] Bundesabgeordneter, Vizebürgermeister von Theux, Provinz Lüttich (Belgien)