Chaytor DE

Dreißig Jahre Erfahrung bei der Unterstützung von Familien, das Trauma einer Sektenverwicklung zu überleben: eine Geschichte der Bemühungen von FAIR und The Family Survival Trust

 

Audrey Chaytor

Direktorin von The Family Survival Trust

 

Ich wünsche Sie alle in London willkommen und hoffe, dass Ihnen der Aufenthalt hier Freude bereitet. Es ist für mich sehr bemerkenswert, dass in den späten Siebzigerjahren in Großbritannien und in Europa nur eine Handvoll Leute Erfahrungen und Kenntnisse über die damaligen Kulte und Sekten hatte.  Das heutige Bild ist sehr viel anders, und Dank gebührt allen, die teilgenommen und hat gearbeitet haben, FAIR zu gründen und die später in Europa an der Entwicklung von FECRIS beteiligt waren. Die Zahl der Mitglieder steigt weiterhin an und die vitalen Elemente des Mitteilens von Kenntnissen und Erfahrung tragen zur großen europäischen Anstrengung in diesem weiterhin bestehenden Gebiet des Missbrauchs bei.

 

Ich zolle jenen wenigen Politikern Anerkennung und Dank, die unseren Bemühungen Zeit, Verständnis und Unterstützung gewährt haben. Dem lieben verstorbenen Lord Rodney, der sich unserem Anliegen widmete und mit seinem parlamentarischen Allparteienkomitee von Abgeordneten und auch als unser engagierter Vorsitzender große Anstrengungen machte. Ich zolle auch Tribut unserem eigenen Tom Sackville, der nicht nur großes Interesse und Verständnis für den Bereich der Kulte und Sekten zeigt, sondern irgendwie in seinem außergewöhnlich geschäftigen Leben es schafft, Zeit zu finden, unser Freund und Wegbegleiter zu sein.

 

Ich danke auch den sehr wenigen Geistlichen und Religionsdienern, die uns Unterstützung und Verständnis für die Probleme gewährt haben, die mit unserer Arbeit verbunden sind.

 

Mein Beitrag zu dieser Tagung beruht auf meiner Arbeit und meinen Erfahrungen aus dreißig Jahren, die mein heutiges Denken und meine Beobachtungen geformt haben.  Meine Erwartungen an Kirche und Staat, die ursprünglich hoch waren, haben sich in letzter Zeit geändert und ich erkläre, dass mich beide nicht mehr beeindrucken. In den frühen Tagen waren meine Erwartungen, dass sie zumindest versuchen würden, das Phänomen zu verstehen, das sich über die meisten Teile der Welt verbreitet und viele ranghohe Politiker und Geistliche getäuscht hat. Nun ist es klar, dass keine Anstrengungen gemacht wurden, das Problem zu verstehen und in den Griff zu bekommen. Es wurde uns überlassen, unsere eigene Unterstützung zu finden und unser Leben in einem Kampf zu verzehren, zu dem sie zumindest etwas hätten beisteuern können.

 

Das Ausbleiben der Unterstützung in Großbritannien war für viele von uns, die große Anstrengungen machen, zu arbeiten und zu helfen, eine ständige Irritation.  Aber die Regierung tat wirklich etwas. Sie machten ein Geschenk aus einer großen Menge von Steuergeldern und stellten und das Ergebnis vor – ein konsolidiertes Paket, bekannt als INFORM. Nach diesem Ereignis konnte man fast einen Seufzer der Erleichterung merken, da Kirche und Staat in einen Zustand der Trägheit zurückfielen und erwarteten,  dass wir in unserer Unwissenheit und Dankbarkeit für ihre Bemühungen nicht nur INFORM voll unterstützen, sondern uns auch zurückziehen und ihnen einigen Frieden gewähren würden. Wir in Großbritannien wurden gezwungen, INFORM zu akzeptieren, und wir sind ständiger Beschimpfung ausgesetzt, die 1988 begann. Verfügbares Geld wurde vergeudet, und ich sage es klar heraus, meine ständige Besorgnis ist, dass es in Großbritannien kein Geld gibt, um ehemaligen Sektenmitgliedern zu helfen. Es muss hier viele geben, die ohne Unterstützung um das  Überleben kämpfen. Wie schrecklich ist das?

 

Anzeichen von wirklichem Verständnis hätten geholfen, aber da es keine solchen gab, wissen wir zumindest, wie wir dran sind. Heute gibt es eine knappe Anerkennung des Problems der Kulte und Sekten durch Kirche und Staat, aber die Gefahren scheinen ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen.  Einige der skandalösesten und abscheulichsten Ereignisse haben nicht einmal zu einem Stirnrunzeln geführt. Das sind nicht meine einzigen Besorgnisse, denn Kirche und Staat scheinen den springenden Punkt zu übersehen, der von uns und anderen geltend gemacht wird, nämlich dass die Gefahr

nicht nur darin besteht, dass Familien Mitglieder verlieren, obwohl dies schlimm genug ist, sondern dass es eine tiefere und gefährlichere Verbindung gibt. Die Zivilisation lebt nun täglich unter der ständigen Drohung terroristischer Akte.

 

Als ich dies am 29. März 2010 schreibe, gingen Bomben in der Moskauer Untergrundbahn hoch und töteten und verstümmelten gewöhnliche Bürger. Unsere Besorgnis muss darin bestehen, dass Kirche und Staat es nicht schaffen, springende Punkte zu akzeptieren, die uns klar sind aber nicht ihnen, nämlich dass es in vielen Fällen keine Trennung von „religiös“ und „kriminell“ gibt, ein Fehler, der weithin unerkannt bleibt. So weit ich sehen kann, sind Kirche und Staat so mit anderen Dingen beschäftigt, dass es weder Zeit noch Neigung gibt, die „Verbindung“ herzustellen, trotz wohlveröffentlichter Katastrophen und Gefahren seitens extremer und  unkontrollierter „Glaubens-“ und / oder Terroristengruppen. Es gibt keine Grenze dafür, was durch gewissenlose Meister getan werden kann, die ihren Willen versklavten Mitgliedern auferlegen. Die dünne Linie zwischen „religiös“ und „kriminell“ ist verborgen und tief empfundener Glaube kann leicht von dem einen in das andere transformiert werden. Wir alle wissen und verstehen es, aber wir warten immer noch darauf, dass Kirche und Staat dessen gewahr werden und die Verbindung herstellen.

 

Könnte etwas getan werden, um diesen Prozess weitertreiben zu helfen? Es würde helfen, wenn blinde und ermüdende Lippenbekenntnisse zu „Freiheit des Glaubens und des Gottesdienstes“ ohne den Einfluss der vielen Kultapologeten ernsthaft debattiert  werden könnten. Eine Gruppe ernsthafter Wissenschaftler zusammen mit erleuchteten Politikern, die zu lernen bereit sind, könnten den Anfang machen. Das Thema könnte von der Ernennung eines Ministers für Sekten durch das Parlament profitieren, statt bequem als kleiner Teil irgendeiner Regierungsabteilung verborgen und ignoriert zu werden, wie es seit vielen Jahren bis zum heutigen Tag der Fall ist. Das dürfte fast zu einfach aussehen, aber soweit ich weiß hat es noch niemand vorgeschlagen.

 

Zuviel Nichtwissen und Zeitverschwendung sind im Überfluss vorhanden. Gelegentlich hören wir in einem Bericht, der als „Gute Nachricht“ interpretiert werden könnte, dass einige Politiker sich „religiöser Probleme“ bewusst sind, aber sie verschwinden häufig, bevor sie angefangen haben.

 

Ein neuerer Report über neue Gesetzgebung in The Sunday Times vom 7. März 2010

berichtete, dass Gleichstellungsministerin Harriet Harman dem Hohen Haus die Zusammenhänge eines Texts über die Praxis des Gleichheitsgesetzes erklärte. Frau Harmann kündigte an, Religionen müssten nicht mainstream oder gut bekannt sein, damit ihre Anhänger Schutz erhielten. Sie sagte: „Ein Religionsbekenntnis muss nicht den Glauben an Gott oder an Götter enthalten, aber er muss Einfluss darauf haben, wie eine Person ihr Leben führt oder die Welt auffasst.“ Der neue Text über die Praxis, verfasst von der Kommission für Gleichheit und Menschenrechte, würde die Mitglieder von Sekten und solchen „neuen Religionen“ wie Scientology beschützen. Es erstaunte mich zu erfahren, dass Scientology Schutz benötigt!  Als jemand, der aus erster Hand weiß, wie viel Schutz die Öffentlichkeit  vor Scientology benötigt, möchte ich Harriet Harmans grenzenlose Ignoranz auf diesem Gebiet zur Rede stellen. Das ist jedoch nur ein Beispiel dafür, wie sehr wir intelligente Politiker benötigen, die verstehen und wissen, worüber sie sprechen

 

Neulich las ich einen Artikel von Virginia McKenna von BORN FREE fame, einer Wildlife-Aktivistin, die gegen das Gefangenhalten von wilden Tieren kämpft. Sie sagte: „Es wird wahrscheinlich nie eine Zeit ohne Tiere in Käfigen geben, aber gewöhnlich gibt es einen Kompromiss“, und weiter: „ Wir haben im vergangenen Jahr unseren 25. Geburtstag nicht gefeiert. Der einzige Grund für eine Feier wäre der, dass wir nicht mehr gebraucht würden.“ Dies ist etwas, worüber wir nachdenken sollten und der Gedanke spricht mich wirklich an: DASS WIR NICHT MEHR GEBRAUCHT WÜRDEN!

 

Heute ist in unserer Welt das allgemeine Bild, dass viele, die diese Reise vor über dreißig Jahren begannen, immer noch dabei sind. Viele Weitere haben sich dem Kampf angeschlossen. Wir haben glänzende Wissenschaftler, Psychologen, Psychotherapeuten, Forscher, Sektenberater, alle, die von hier aus arbeiten.  Es ist tatsächlich das Bild einer weltweiten Arbeitsgruppe, ein entwickeltes Schema der Joberzeugung, das Opfern hilft und Familien berät.  Wenn man sich diesen eindrucksvollen Bereich insgesamt betrachtet, sollen wir dann annehmen, dass er ständig so bleiben wird? Sollten wir arbeiten und uns auf eine Welt freuen, in der an höheren Stellen viel mehr Anerkennung und Unterstützung für Opfer verfügbar sein wird? Wir benötigen ein größeres Bewusstsein der Gefahren und einen Weg nach vorne, der sogar die Ausschaltung vieler Gruppen zur Folge haben könnte. Wie Virginia MacKenna glaube ich, dass der Grund für eine wirkliche Feier der wäre, dass wir nicht mehr benötigt würden. Ich weiß jedoch, dass dies ein Wunschtraum ist, aber ich weiß auch, dass die Gesellschaft eine neue Initiative von Kirche und Staat benötigt und davon nur profitieren könnte. In einer sensiblen und gut regulierten Welt sollten alle Kirchen, Kulte und Sekten veranlasst werden, ihren Wert zu beweisen, um Steuerbefreiung zu erlangen. Wenn das erreicht würde, wäre es eine neue Basis für ein Gleichheitsgesetz, das ich unterstützen könnte!

 

Ich nehme an, dass es wahrscheinlich nie eine Zeit ohne Sekten und ohne esoterische Gruppen geben wird – sie waren hier seit dem Beginn der Welt. Aber es gibt keinen guten Grund, die Situation so zu akzeptieren, wie sie jetzt ist.  Sie könnte bedeutend verändert und viel sicherer gemacht werden. Ich stelle Ihnen zur Überlegung eine Frage. Warum sollten wir akzeptieren, dass es für jeden, auch für jeden von Ihnen hier, möglich sein sollte, wenn Sie es wünschten, eine religiöse oder esoterische Gruppe zu gründen und aufgrund der Ergebnisse der Bewusstseinsmanipulation, die Leute in eingebildeten Käfigen leben lässt, ein Leben in Reichtum zu führen?

 

Wo könnten wir beginnen? Es wäre schwierig, aber es könnte mit einer Regierungskommission aus erfahrenen Inspektoren beginnen, die passend professionell, diskret und mit Autorität zur Untersuchung von Kirchen, Glaubensgruppen, Kulten und Sekten ohne vorherige Warnung versehen sein müssten.  Bestehende religiöse Körperschaften und esoterische Gruppen würden getestet und jede Gruppe, die nicht die nötigen Kriterien erfüllte, würde aufgelöst. Jene, die beginnen wollten, würden um Genehmigung ansuchen und sich einer Überprüfung unterziehen müssen, bevor sie die Genehmigung erhielten. Automatische Steuerfreiheit würde aufgehoben, aber könnte jenen Gruppen wieder gewährt werden, welche die erforderlichen Standards der Predigt, der Lehre und des Verhaltens aufwiesen. Es würde keine verschlossenen Türen bei Kirchen oder Gruppen während der Gottesdienste, Treffen oder Schulungen geben. Es ist mir klar, dass man diese Vorschläge sorgfältig überprüfen und in die Tat umsetzen müsste, aber das gegenwärtige System, einfach eine Anschlagtafel aufzustellen, zu behaupten, man sei eine „Kirche“  und hinter verschlossenen Türen zu arbeiten, ist viel zu einfach. Es ist ebenso einfach, zu behaupten, man sei ein buddhistischer Mönch mit besonderen spirituellen Kräften. Es gibt viele Schlupflöcher, durch die Krimielle sich durch Täuschung ein  leichtes Leben verschaffen können.

 

Bevor er starb, schlug Lord Justice Denning 1984 ein Schutzssystem vor und meinte, dass es zu einer Lösung führen könnte. Er war überzeugt, dass die Leichtigkeit, mit der Kulten und Sekten gestattet wurde, unter der gegenwärtigen Regel der Steuerbefreiung zu agieren, albern sei und aufhören müsse. Ich bin eine der wenigen, die ihn damals unterstützten. Man sagte mir, ein solches System würde nicht funktionieren.  Ich hörte mir die Argumente an, aber ich akzeptiere nicht, dass der Missbrauch von Personen und heimlicher Betrug des Steuersystems unter dem Schutz von Religion und Glaube ein annehmbarer Teil des Lebens in einem zivilisierten Land sein sollten. Die jetzt bestehenden Privilegien schützen jeden Scharlatan, der sich als Religionsdiener oder Leiter einer Gruppe ausgibt.  Ich schlage vor, dass der gegenwärtige Zustand nicht weiter bestehen darf. Verständlicherweise würde eine solche Maßnahme zu einem Aufschrei führen, aber jede Kirche oder Kultgruppe erhielte die Möglichkeit, ihre Aufrichtigkeit, ihre Ehrlichkeit, ihr gutes und transparentes Management zu beweisen, und wenn sich herausstellt, dass sie sich auf klar definierten Linien bewegt, dann hätte sie nichts zu fürchten. Dies könnte ein Beginn sein und könnte, obwohl es sehr unpopulär ist, das gegenwärtige System mit „frei für alle“ ersetzen, das derzeit ungeprüft verfährt.

 

Meine Erinnerungen  und Erfahrungen einer langen Reise in die “Dunkelheit” begann im Februar 1979, als ich glaubte, meine beiden geliebten Töchter verloren zu haben, die in die Scientology-Sekte rekrutiert wurden. Dies war das erste Ereignis in meinem Leben als Mutter, das einen ernsten Konflikt zwischen uns hervorrief. Es war nicht ihr Fehler, sondern meiner. Sie wurden das Opfer von Lügen. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie schwierig es war zu glauben, dass etwas, von dem ich nie zuvor gehört hatte, eine so destruktive Kraft sein konnte. Jahrlang haben viele Eltern von ähnlichen Erfahrungen berichtet.  Als intelligente Mutter dachte ich, ich sei klug genug zu wissen, was jungen Leuten draußen in der Welt zustoßen könnte. Ich hatte mich geirrt!

 

Völlig in Unkenntnis über diesen dunklen Gegenstand sandte ich meine Kinder unbewaffnet in die Welt hinaus und sie wurden angegriffen. Als ich fast unglaubliche Tatsachen erfuhr, war ich starr und gelähmt vor Angst. Aber meine Erfahrung dieser frühen Lektion über einen destruktiven Kult hat mich dazu gebracht, die Narretei der Erlaubnis des gegenwärtigen Systems zu erkennen, das keine Grenzen kennt, unüberwacht unter der Maske „Neue religiöse Bewegungen“ sein Spiel fortzusetzen.

 

Im Lauf der Jahre habe ich mich bemüht, Familien zu helfen, die unter normalen Umständen mit Ereignissen und Tragödien jeder Art zu Recht kämen,  jedoch durch den Umstand, einen Sohn oder eine Tochter in einer Sekte zu haben, zerrieben werden könnten. Sie verlieren ihr inneres Vertrauen, ihre Zuflucht und ihre Stärke und werden mit Furcht erfüllt.

 

Als ich mich 1979 der FAIR anschloss, hörte ich Berichte von anderen Eltern, die mir erzählten, es gebe Ort in der Welt, die „Mekkas“ für Sekten geworden wären. Es gab bestimmte Städte in den USA, wo es für junge Studenten fast unmöglich war, vor beutegierigen Moonies sicher zu sein, und andere Orte, an denen Scientology die wesentlichste Gefahr war. Damals war es fast unmöglich, sich in der Oxford Street in London aufzuhalten, ohne eine sehr lärmende Gruppe von tanzenden, singenden und trommelnden Hare Krisna Mitgliedern zu treffen. Manche ahnungslose oder unintelligente Passanten meinten, sie seien nur sehr amüsant und liebenswürdig, eben ein

farbenprächtiges Bild. Jedoch die meisten von uns wissen, das ihr Lebensstil alles andere als niedlich und ihre Weise, Kinder zu behandeln, schrecklich ist. Unsere liebe Freundin, die verstorbene Dr. Elisabeth Tylden, sagte sehr weise: „Ich kümmere mich nicht darum, was jemand glaubt, aber ich kümmere mich darum, was sie als Ergebnis ihres Glaubens tun. Wegen Betty’s Weisheit und wegen unserer während dreißig Jahren angeeigneten Kenntnisse sind wir heute stärker.  Jedoch hat sich in dieser Zeit sehr wenig geändert. Viele destruktive Kulte und Sekten sind immer noch hier, machen Beute auf verwundbare  Menschen und verursachen schweres Leid. Traurigerweise gibt es immer noch kein Zeichen, dass Kirche und Staat sich einem Sektenerziehungsprogramm in Schulen angenähert hätten.  Es sieht völlig absurd aus, obwohl ich die Gründe dafür kenne, dass niemand außer uns die Gefahren erkennt.

 

Kulte und Sekten erregen wenig Aufmerksamkeit,  außer sie verursachen einen nationalen Skandal, was sich gut auf die Verkaufszahlen der Zeitungen auswirkt, oder es handelt sich um ein schreckliches Unglück, das nicht unbeachtet bleiben kann. Dann wird aber das Interesse nur kurz dauern, bis sich ein anderer Skandal ereignet und den vorhergehenden ersetzt. Das hat sich in mehr als dreißig Jahren nicht geändert.

 

Die Täuschung geht weiter und beginnt in vielen Fällen mit einer einfachen Frage. Wenn ich in meine nächstgelegene Stadt gehe, dann treten manchmal zwei harmlos aussehende Burschen auf mich zu und sagen: „Wir möchten gerne mit Ihnen sprechen. Glauben Sie an Gott?“ Sie sind nicht aggressive und es ist schwierig, ihnen zu sagen, sie sollten weggehen, aber das ist die Falle, sie sind wegen ihrer sanften Umgangsformen sorgfältig ausgewählt. Ich weiß, dass ich ihre Frage nicht beantworten darf, da diese Burschen für eine extreme evangelikale Kirche rekrutieren, die – es tut mir leid, es sagen zu müssen – als Teil der Kirche von England geschützt ist. Wenn ich dieses Paar in tiefe Gespräche mit anderen verwickelt sehe, dann weiß ich, dies könnte der Anfang eines Problems für jemanden sein, aber ich kann nichts tun. Diese Kirche wird dies weiterhin steuern. Sie hat guten Zulauf und wird, sogar vom Erzbischof, als „erfolgreich“ betrachtet.

 

Von Zeit zu Zeit werden Berichte veröffentlicht, die unsere Hoffnung keimen lassen, dass „etwas“ geschehen könnte, aber dann geschieht weiterhin nichts. Man könne uns den Gedanken verzeihen, dass diese Berichte absichtlich veröffentlicht werden, um uns in Sicherheit zu wiegen und uns davon zu überzeugen, dass Regierungen interessiert seien. Wir müssen wie im Fall vom Bericht des Senators Xenophon in Australien fragen, ob die Regierung der Sache nachgehen und sie ernst nehmen wird. Jedoch zeigt sich dann wieder einmal, dass ein ausgezeichneter Bericht hängen geblieben ist. Hoffnungen werden erweckt, dann zerbröckeln sie und fallen in sich zusammen, während das Schweigen von Kirche und Staat ohrenbetäubend ist und missbrauchende Gruppen weiterhin missbrauchen. Wenn gewöhnliche Bürger viele Taten der Kulte und Sekten ausführten, dann würden sie wegen beliebig vielen Anklagepunkten verhaftet werden. Aber religiöse oder esoterische Gruppen tun das Schlimmste, die Kirche schweigt und der Staat, die Polizei und die Gerichte scheinen machtlos zu sein.

 

Das Problem von Leuten, denen Schaden zugefügt wurde und die viele Jahre in Kulten und Sekten verbracht haben, ist für uns alle wichtig. Die Anzahl der Opfer ist unbekannt und es gibt für sie noch kein Sicherheitsnetz. Ich versichere Ihnen, trotz meines vorherigen Kommentars über die große Verbreitung von professionellen Beratern, Psychotherapeuten und Psychologen, die auf dem Gebiet arbeiten,  dass ich keinen Wunsch habe, auf sie zu verzichten. Aber es ist Zeit, dass wir uns von der Position wegbewegen, die wir in den letzten dreißig Jahren hatten. Kirche und Staat muss geholfen werden, das Problem als das zu erkennen, was es ist. Finanzielle Mittel sollten von dort abgezogen werden, wo sie jetzt sind, und innerhalb des Gesundheitswesens für Sektenopfer verfügbar gemacht werden, die Beratung, Behandlung oder Hilfe benötigen. Wenn Opfer nicht zu reichen Familien gehören, dann haben sie keine Möglichkeit, die Kosten professioneller Beratung zu bezahlen. Das ganze Gebiet der Sektenhilfe und –beratung muss  revidiert werden.

 

Kinder, die durch ihre Eltern zu Sektengruppen gebracht werden, sind verletzlich, als Opfer der Wahl beraubt. Wenn jemand in jungem Alter Mitglied eines Kultes oder einer Sekte wird, werden ihm die besten Jahre des Lebens gestohlen. Mit der Zeit mögen einige dieser verschleppten Personen versuchen, ohne Unterstützung und mittellos in die reale Welt zurückzukehren. Ihnen werden Vertrauen und Qualifikation fehlen und sie mögen sogar krank sein. Wie können diese beschädigten Menschen Unterstützung finden, um professionelle Gebühren für Beratung zu bezahlen? Das System, so wie es jetzt ist, ist widerwärtig und es gibt kein offizielles Unterstützungsnetzwerk.

 

Ich möchte schließen mit zwei herzzerreißenden Erfahrungen aus diesem Gebiet der Leiden. Am Tag des Feuers in der Waco Ranch beantwortete ich von sieben Uhr früh an Telefonanrufe. Ich verfolgte den ganzen Tag die Berichte im Fernsehen, als die Ranch, von der man wusste, dass sie voller Leute war, die lebendigen Leibes verbrannten,  weiterhin brannte.  Das Telefon hörte an  diesem Tag nicht auf zu läuten. Es läutete wieder um 4 Uhr nachmittags, als mein Mann mich aufforderte, nicht abzuheben. Etwas veranlasste mich aber doch, abzuheben, und der Anrufer war ein unglücklicher Mann aus Sheffield. Er fragte, ob ich den Bericht im Fernsehen verfolge. Ich fragte ihn, was er mir sagen wolle, und er sagte: „Es gibt nichts, was Sie tun könnten. Ich wollte nur jemandem sagen, dass meine Frau und meine vier Töchter dort drinnen sind!“ Die Mutter dieser Kinder schloss sich David Koresh vermutlich freiwillig an, aber ihre Kinder nahm sie dorthin mit.

 

Der zweite Fall ist neuer und ereignete sich erst vor wenigen Monaten. Einer Frau,  die längere Zeit hindurch in zwei Sekten mental, sexuell und finanziell missbraucht worden war, gelang es, sich zu befreien und nach Großbritannien zurückzukehren. Weil sie so lange Zeit hindurch missbraucht worden war, hatte sie keine Selbstachtung mehr. Die Situation ihrer Familie hatte sich beträchtlich geändert und auch das Leben ihrer Eltern. Diese waren nun alt und ein Elternteil war sehr krank und sie konnten ihr nicht helfen. Dann fiel sie wieder in falsche Hände, erhielt teuflische Beratungs-Ratschläge und erschien sehr erschöpft in unserem Büro. Jede Erwähnung von psychiatrischer oder psychologischer Hilfe wurde mit Tränen und absoluter Ablehnung beantwortet.  Deshalb beschlossen wir zu versuchen, ihr Tag für Tag über die Runden zu helfen, und schließlich hofften wir, sie dazu zu bringen, weitere Hilfe zu akzeptieren. Aber wiederum gab es überhaupt kein Geld, um irgendetwas zu bezahlen.  Julian Chater und ich benützten viele Stunden und einiges von unserem eigenen Geld, um unser Bestes zu tun, ihr zu helfen. Wir meinen, wir hätten es nicht ganz so schlecht geschafft und oft gelang es uns, sie zum Lächeln zu bringen. Aber an einem traurigen Tag erfuhren wir, dass sie aus einem schnell fahrenden Zug nach London gesprungen und sofort tot gewesen sei. Dies geschah als Ergebnis von zwanzig Jahren Übel, gefolgt von extrem schlechten Sektenberatungs-Ratschlägen.

 

Aber heute sind Ratschläge im Internet zu haben, in der Annahme, eine Sektenerfahrung könnte einfach als eine Art Abenteuer betrachtet werden. Dort steht und ich zitiere: „Viele wurden aus der Erfahrung klüger..“. Ich überlasse es Ihnen, das zu beurteilen.