ABSTRACT Pierre LE COZ

ABSTRACT

FRANKREICH

Pierre LE COZ

– Professor der Philosophie,
– Mitglied des Comité consultatif national pour les sciences de la vie et de la santé[Nationale Beratungskommission für Ethik in den Gesundheits- und Lebenswissenschaften],
– Dozent an der medizinischen Fakultät Marseille, Fachbereich Ärztliche Ethik

Entwicklung des Begriffs der Gesundheit und die Neuen Religiösen Bewegungen

  • Die Empfänglichkeit ärztlicher Kreise für pseudotherapeutische Bewegungen und Sekten wird von mehreren Faktoren begünstigt. In seiner Einführung stellte Pierre LE COZ zwei dieser Faktoren vor: Den einen der psychologischen Art, der der ärztlichen Welt eigen ist, und den anderen der kulturellen Art, der allen Schichten der Gesellschaft gemein ist. Der erste Faktor ist das Leid der Krankenbetreuer, das sie für die Angebote neuer therapeutischen Alternativen und für die neue Macht, die sie ermöglichen, empfänglich macht. Der zweite ist der Triumph des « Psychologismus », der psychologische Elemente für die Krankheiten verantwortlich macht. Dieser Trend leitete eine Phase der Moderne ein, die die Soziologen « Postmoderne » oder « Ultramoderne » nannten. Der Psychologismus ersetzt die rein organische hippokratische Vorstellung des Begriffs der Gesundheit durch die pauschalisierende moderne Vorstellung einer « gesunden Seele in einem gesunden Körper ».
  • Dann stellte Pierre LE COZ diese Psychologisierung in eine historische Perspektive, indem er die großen Etappen der Verwandlung der organischen hippokratischen Medizin in eine ganzheitliche moderne Medizin darstellte. Eigentlich ist diese Entwicklung ein langjähriger Prozess, da sie schon am Anfang des 17. Jahrhunderts mit dem Anbruch der laizistischen und rationalistischen Moderne anfing, deren Frucht sie ist. Letztere sorgte sich nämlich sehr um die « Behandlung der seelischen Schmerzen, das Glück und die Verbesserung der Situation des Menschen ». 
    Pierre LE COZ illustrierte seine Worte durch das Lesen eines Auszugs aus « Die neue Atlantis » des Philosophen Francis Bacon (1561 – 1626). Dort zählt dieser alles auf, was die zukünftige Medizin verwirklichen können wird: Nicht nur gesund erhalten, sondern auch und vor allem die menschlichen Wünsche erfüllen und Glück verschaffen. Es handelt sich hier um eine grundlegende Veränderung in der Vorstellung der Situation des Menschen. So geht man von einer jüdisch-christlichen Situation des Menschen ab, der begrenzt durch die Erbsünde und in der Erwartung einer himmlischen Glückseligkeit geschaffen wurde, zu einer modernen und rationalistischen Auffassung eines Menschen, der dazu aufgefordert ist, ein von jeglicher Endlichkeit befreiter und für das irdische Glück bestimmter Gott zu werden. Der Redner erinnerte auch an den Beitrag des Philosophen Descartes an dieser Entwicklung: Er rief nämlich « den Menschen dazu auf, Herr und Besitzer der Natur zu werden », denn durch die von ihr gesetzten Grenzen stehe sie dem menschlichen Glück im Weg. So waren die Keime einer modernen Medizin zum Diensten der gleichzeitigen körperlichen und psychischen Fülle gesät.
  • Dann trug Pierre LE COZ die entscheidende Rolle vor, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und den Verfechtern der Strömung des New Age in der Anerkennung dieser ganzheitlichen modernen Medizin gespielt wurde.
    1947 definierte nämlich die WHO die Gesundheit « auch nicht als Abwesenheit von Krankheiten sondern als einen vollständigen Zustand des körperlichen und sozialen Wohlbefindens ». Diese Definition lässt die ontologische Fülle vom Gebiet der Religion in das der Medizin rücken, und das volle Glück, das bis dato für das Jenseits versprochen war, wird jetzt und hier auf Erden angeboten. Marylin Ferguson, eine der wichtigsten Theoretikerinnen des New Age, beurteilte diese Umwälzungen nach ihrem wahren Wert. In ihrem Buch « Die Kinder des Wassermanns » betrachtete sie nämlich diese Definition der Gesundheit durch die WHO als eine echte kulturelle Revolution und als die Prämissen « eines neuen Paradigmas », das der christlichen Zivilisation ein Ende setze und die Ära des Wassermanns einleite, diejenige des New Age. Er betonte schließlich, dass die Definition der WHO bei den Krankenpflegern zwei Arten von Reaktionen zur Folge hatte: Eine Strömung, die dafür war, und eine andere, die dagegen war. In dieser letzten Strömung trifft man eine Minderheit von Ultras wieder, die dem fragwürdigen Postulat der rein psychologischen Herkunft der Krankheiten zustimmen.
  • Im letzten Teil seines Vortrags führte der Redner einige Beispiele der zeitgenössischen psychologisierung der Medizin an. Er zitierte die Art und Weise, wie das französische Gesetz von 1975 über den Schwangerschaftsabbruch formuliert ist : Nicht wie ein Recht, wie eine Freiheit, sondern der Ausdruck der Situation einer Notlage, die einen ärztlichen Eingriff erfordet. Er erwähnte auch bestimmte Akte der Euthanasie, die durch die Unheilbarkeit der Krankheit begründet waren. Er sprach auch über die Auswahl der Spermien, die durch den Wunsch begründet war, ein Gleichgewicht in der Familie aufrechtzuerhalten, und zitierte dann einige gesetzlich erlaubte Akte der Implantation von Embryonen. Diese Beispiele der therapeutischen Orientierung werfen auch die Frage der Grenzen auf, die dieser Betrachtungsweise zu setzen sind.
  • Pierre LE COZ schloss, indem er daran erinnerte, dass die moderne Medizin durch ihren Psychologismus Verwechslungen zwischen Therapien und Psychotherapien heraufbeschwor, und so die Ansiedlung von Heilpraktikern und Gurus begünstigte. Er gab die durch die heutige Medizin gestellte grundlegende Frage wieder: Soll sie oder soll sie nicht die ontologische Fülle immer weiter anstreben, so wie ihr das die WHO zuweist?
    Dann betonte er, dass die Exzesse der Medizin, und zwar Psychologisierung und Mechanisierung, obwohl sie einander entgegengesetzt sind, in Wirklichkeit beide zum selben Abgleiten in heilende Sekten führten, die die ontologische Fülle versprechen: Der erste durch die von ihm geschlagenen Breschen, der zweite durch die von ihm herbeigeführten Fluchtreaktionen.
    Dann beendete der Redner seinen Vortrag, indem er einen dritten Weg vorschlug: Den des kritischen Rationalismus Kants. Er würde es ermöglichen, außer den vorher erwähnen Exzessen die Auswüchse der Vernunft in Richtung Arroganz und Dogmatismus zu verhindern.

DISKUSSION:
Bestimmte Beiträge brachten Pierre LE COZ dazu, daran zu erinnern, dass die Ablehnung jeglicher Psychologie durch den Krankenpfleger zur Technowissenschaft führte, während die bedingungslose Zustimmung zum Holismus (zur ganzheitlichen Auffassung) ihrerseits zur Metamedizin führte
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