Mária SABOLOVÁ

SLOWAKEI

Mária SABOLOVÁ

– Mitglied des Nationalrats der Slowakischen Republik,
– Vorstandsvorsitzende des Slowakischen Nationalen Zentrums für Menschenrechte, Nationalitäten und den Status der Frauen
Lucia GRESKOVA

– Vorstandsmitglied des Instituts für Staat-Kirche Beziehungen (UVSC)

Kommentare zur Sektenproblematik in der Slowakei
aus der Perspektive einer Parlamentsabgeordneten

Der Missbrauch religiöser Gefühle und Gedanken ist weltweit eines der ernstesten Probleme. Abhängigkeiten und psychische Manipulation wirken auf soziale, wirtschaftliche, gesundheitsbezogene, kulturelle und politische Bereiche des gesamtgesellschaftlichen Lebens ein. Abhängigkeit findet man dabei auf fast jeder Stufe, ohne es recht zu merken. Diese Tatsache trifft auch auf die Slowakische Republik zu. Mir ist selbstverständlich klar, dass nicht jede Abhängigkeit – wie z.B. das Angewiesensein eines Babies auf seine Mutter – entgegen menschlicher Freiheit ist, doch krankhafte Abhängigkeiten anstelle von Trost, Vergnügen oder Ermutigung gehen mit Angst, Depression und Krankheit einher. Krankhafte Abhängigkeiten sind auch im spirituellen Leben nahezu aller weltweiten Religionen vorhanden.

Ich persönlich habe keine besonders intensiven Erfahrungen mit Sekten. Dennoch nehme ich als Politikerin und Parlamentsabgeordnete die Problematik der Sekten wahr sowie die Bedrohungen, die diese für die Gesellschaft, Familien, Individuen und deren psychischen und physischen Zustand bedeuten.

Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, Leute der Sri Chinmoy-Bewegung zu treffen, als sie persönlich das Slowakische Parlament besuchten und in der ihnen eigenen Art und Weise versuchten, die Aufmerksamkeit der Abgeordneten zu erregen. Den meisten Abgeordneten entlockten ihre Aktivitäten nur ein müdes Lächeln. Kaum jemand ist sich der Gefahr des Einflusses der Sri Chimnoy-„Guru“-Lehre bewusst. Mich überraschte das Ganze nicht, denn unter diesen jungen Leuten war die Tochter eines Abgeordneten – praktizierender Christ, jedoch außerordentlich tolerant gegenüber ihren Aktivitäten.

Die nächste Gruppe, der ich begegnete, war die Vereinigungskirche. Moonies hatten einige Briefe an Abgeordnete gerichtet, in denen sie über ihre Aktivitäten informierten und die Abgeordneten zu Massenhochzeits-Zeremonien einluden. Die Briefe landeten im Papierkorb. Diese Reaktion ist jedoch nicht repräsentativ dafür, wie die slowakische Gesellschaft auf Moonies reagiert. Sie haben sich in der Slowakei niedergelassen und veranstalten öffentliche Aktivitäten für die breite Masse, mit dem Zielgruppenschwerpunkt auf Jugendlichen und akademischen Gemeinschaften.

Da mein Freund als klinischer Psychologe praktiziert, habe ich aus zweiter Hand – zumindest durch das, was zugänglich ist – von den negativen Einflüssen von Sekten auf das Schicksal und die psychische Gesundheit von Menschen erfahren.

Die Sektenproblematik und deren destruktiver Einfluss auf die Gesellschaft und ein Individuum scheinen in der gegenwärtigen slowakischen Gesellschaft ein Randthema zu sein.
Meine Teilnahme an dieser Tagung könnte eine Anregung sein, diese ernsthafte Problematik ins Programm des slowakischen Parlamentskomitees aufzunehmen.

Innerhalb des Parlaments der Slowakischen Republik gibt es zwei Komitees, deren Ausrichtung im Zusammenhang mit der gegebenen Problematik steht. Es sind dies das Komitee für Öffentliche Gesundheit unter dem Vorsitz meiner Parteikollegin, eine Ärztin und möglicherweise zukünftige Abgeordnete des Europäischen Parlaments, und das Komitee für Menschenrechte, Nationalitäten und Stellung der Frau, in welchem ich Mitglied bin und welches sich in seiner Arbeit auf die Förderung und Supervision der Beobachtung von Menschenrechten und -freiheiten, politischen Rechten, Rechten nationaler Minderheiten und Volksgruppen konzentriert.

Die Komitees sind als Aufsichtsgremien des Parlaments aktiv. Sie können Unter-Kommissionen einrichten, die sich mit den gegebenen Problematiken beschäftigen sollen und in denen Experten – keine Abgeordneten – Mitglied werden können. Das Slowakische Parlament hat sich noch nicht mit dem Problem des Sekteneinflusses oder verwandten Problemen beschäftigt. Den meisten Abgeordneten fehlt es an allgemeinen Basisinformationen über die Sektenproblematik sowie über Religiosität im Allgemeinen.

Ich habe von den Aktivitäten sektiererischer Organisationen, von mit der Mitgliedschaft in religiösen Organisationen verbundenen Risiken und von konkreten, mit Religion verwandten Fällen vorwiegend aus Informationen und Quellen der ÚVŠC erfahren – dem Institut für Verbindungen zwischen Staat und Kirche. Die ÚVŠC hat 2003 einige die folgenden Gemeinschaften betreffenden Fälle gelöst:

  • die Word of Life (zwei Fälle)
  • die Christliche Gemeinschaft Patmos
  • die Neue Auferstehung
  • die presbyterianische Imanuel-Kirche
  • die Nazarener
  • die Keltische Religion

Interessant (aus dem Blickwinkel einer komplexen Lösung durch die Gesetzgebung) ist der Fall einer Mutter, die Ende 2003 zur ÚVŠC kam. Sie bat um Beratung bezüglich der Aktivitäten der Zeugen Jehovas. Als einen Grund für die Beratung nannte sie lang andauernde negative Veränderungen im Verhalten ihrer 29jährigen tauben Tochter. Laut den Angaben dieser Mutter waren die Veränderungen an ihrer Tochter durch deren Kenntnis der Lehre der Zeugen Jehovas, ihre Annahme der Lehre und Treffen mit Mitgliedern der Zeugen Jehovas verursacht worden. Die Mutter sagt, ihre Tochter sei zu dieser Lebenseinstellung und diesem Verhalten unter dem Einfluss ihres Betreuers gekommen, und das scheint offensichtlich zu sein.

Der Fall deckt eine Gesetzeslücke in der Verordnung über soziale Hilfeleistungen auf, die sich mit den Problematiken der Betreuer von behinderten Personen beschäftigt. Die Verordnung behandelt nicht die mögliche Existenz einer realen Gelegenheit, bei der Tätigkeit als Betreuer einen Klienten mit dem Ziel zu beeinflussen (physisch, psychisch), dessen Behinderung zum eigenen Vorteil auszunutzen. Die Anwerbung eines Klienten für spezielle Aktivitäten, die Mitgliedschaft in einer Gruppe mit den Anzeichen einer destruktiven Gemeinschaft sowie die Teilnahme am Leben einer Sekte können nicht ausgeschlossen werden.

Im Vergleich zu anderen Behindertengruppen sind gehörlose Menschen verletzlicher und einseitiger gemäß den persönlichen Interessen eines Betreuers beeinflussbar. Zwischen der „Arbeits-“ und der „Privat“sphäre der Gehörlosen und deren Betreuer kann man keine klare Grenze ziehen. Betreuer sind in gewisser Weise Angestellte des Staates oder des öffentlichen Interesses, das bedeutet, dass sie – von einem fachlichen Standpunkt aus – keine direkten religiösen Elemente zu ihrer Arbeit mitbringen sollten. Wären zum Beispiel – im Fall der Verordnung (über soziale Hilfeleistungen) – den Gesetzgebern die Risiken sektiererischen Einflusses bewusst gewesen, wären sie in der Lage gewesen, für Betreuer einen Kodex zu definieren, der diese daran hindert, ihre Klienten sektiererisch zu beeinflussen.

Am effektivsten scheinen entsprechende Vorbeugungs- und Aufklärungsmaßnahmen zu sein. Aufgrund der bestehenden Kommunikationsbarriere können Vorträge für gehörlose Menschen nicht ohne die Einbeziehung von Gehörlosenorganisationen und Fachleuten, die mit ihnen arbeiten, geplant und gehalten werden. Es ist notwendig, ein spezielles Wörterbuch zu entwickeln, denn religiöse Problematiken sind sehr komplex, vor allem wegen zahlreicher abstrakter Begriffe, die angemessen erklärt werden müssen. Obwohl eine Einbeziehung von Fachtherapeuten, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht existiert, ist die ÚVŠC bereit, bei diesen Aktivitäten behilflich zu sein.

Dank meiner Teilnahme an dieser Expertenveranstaltung habe ich mich mit der Komplexität der Sektenproblematik vertraut gemacht. Die ÚVŠC ist die einzige, und es muss gesagt werden zu kleine (5 mitarbeitende Experten), staatliche und nicht-konfessionelle Organisation, die sich mit der Sektenproblematik, und nicht nur mit dieser, professionell beschäftigt. Die Situation ist kompliziert aufgrund unzureichender Einbeziehung und mangelnder Kenntnis der Problematik von Seiten der Psychologen und Psychiater. In der Slowakei kenne ich nur wenige Psychologen und Psychiater, die in diesem Thema Experten sind und bei denen Menschen Rat einholen können. Die meisten ignorieren oder verharmlosen die gegebene Problematik.

Im vergangenen Jahr wurde der Fall einer jungen Frau aufgezeichnet. Ihre Mitgliedschaft in der Christlichen Gemeinschaft Patmos trieb sie in einen Suizidversuch, sie sprang aus einem Fenster. Nachdem ihr Gesundheitszustand wieder stabilisiert worden war, wurde sie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Trotz der ausdrücklichen Missbilligung von Seiten ihrer Eltern hinderte der behandelnde Arzt – ein Psychiater – Mitglieder der Gemeinschaft nicht daran, die Behinderte zu besuchen. Auf die Frage, ob er sich der dadurch entstehenden Gefahren und Risiken bewusst sei, antwortete er:

„In der Slowakei gibt es die konfessionelle Freiheit. Ich kann keine Gefahr bei der Mitgliedschaft in der gegebenen Gemeinschaft erkennen. Die Situation im Bereich Sekten wird nur aufgebauscht. Für meine Patientin wirkt die Anwesenheit der Gemeinschaftsmitglieder zufriedenstellend und förderlich, während die Anwesenheit ihrer Eltern sie unglücklich macht.“

Die Situation verkompliziert sich durch die Praxis der Sekten, ihren legalen Status mittels der Verordnung über Vereine bürgerlichen Rechts zu erwerben, und nicht mittels der Verordnung über Kirchen und religiöse Gemeinschaften. Leider kommt es vor, dass Sekten auf solch trügerische Weise legal die Subjektivität und das Image einer anerkannten religiösen Gemeinschaft erwerben. Zuletzt wurde die Hizbalah-Bewegung als Gesellschaft bürgerlichen Rechts registriert.

Das nächste Problem ist die mangelnde Bereitschaft der Klienten, in der Öffentlichkeit über ihre Erfahrung mit einer Sekte zu reden. Das ist der Fall, nachdem die Klienten ihr persönliches Problem mit der Sekte gelöst haben. Sie lehnen jede weitere öffentliche Aufmerksamkeit ab. Sie ziehen es vor, einen dicken Strich unter ihre unangenehme Lebenserfahrung zu ziehen, oder sie haben (manchmal berechtigterweise) Angst vor Rache. Daher fehlen Zeugenaussagen dieser Menschen über negative Erfahrung mit Sekten und erlittene Verletzungen. Veröffentlichte Geschichten (unveröffentlichte dominieren) von Menschen, die ein Mahnzeichen oder sogar eine Ermunterung sein könnten, fehlen.

Angesichts der hier ausgeführten Erfahrung und Situation in der Slowakei sehe ich den Schwerpunkt meiner Teilnahme an dieser Expertenveranstaltung besonders darin, die Anwesenden um Informationen zu bitten, die bei einer Reflexion über die Sektenproblematik im Slowakischen Parlament hilfreich sein könnten. Brauchbaren Ratschlägen und Initiativen stehe ich in meiner Position als Parlamentsabgeordnete sowie als Vorstandsvorsitzende des Slowakischen Nationalen Zentrums für Menschenrechte offen gegenüber. Ich würde mich freuen, wenn ich die Möglichkeit hätte, die gegebenen Problematiken mit Abgeordneten aus anderen Ländern der Welt zu besprechen. Ich kann über die ÚVŠC (korrespondierendes Mitglied der FECRIS) kontaktiert werden, mit der ich auch in Zukunft zusammen arbeiten werde.

Marseille, 27 März 2004