Monvoisin

Richard Monvoisin

Doktor der wissenschaftlichen Didaktik und Lehrbeauftragter an der Universität Grenoble 1 in Frankreich, Fachmann der Erziehung zum kritischen Denken, beigeordneter Forscher am zetetischen Laboratorium in Nizza und Mitglied von GEMPPI[1]

 

Vorbeugung und kritischer Geist, Entwurf eines pädagogischen Baukastens zum Wortschatz der Sekten [2]

Herr Monvoisin konnte aus gesundheitlichen Problemen an der Tagung nicht teilnehmen, gestattete uns jedoch freundlicher Weise die Veröffentlichung des folgenden Textes.

Ich bin auf gewisse Weise ein Eindringling bei diesem Kongress, denn wenn ich auch Mitglied der GEMPPI bin, bezieht sich meine Arbeit nicht ausdrücklich auf die Sekten. Ich bin beigeordneter Forscher am zetetischen Laboratorium in Nizza, Frankreich, und Lehrbeauftragter für Zetetik an der Fakultät von Grenoble. Das bedeutet, dass meine Arbeit im Wesentlichen die Zetetik ist, abgeleitet von griechischen Zeteîn, was „Suchen nach dem Grund der Dinge“ bedeutet. Die moderne Bedeutung des Wortes Zetetik deckt zwei Begriffe ab. Erstens die Untersuchung von Phänomenen, die als seltsam, bizarr, übernatürlich oder abnormal betrachtet werden: ich studiere alle außerordentlichen Theorien, die über den interpretativen Rahmen der bekannten Wissenschaften hinauszugehen scheinen. Ich beschäftige mich daher mit „wissenschaftlichen“ Glaubensvorstellungen, das heißt jenen, die danach streben, mit unzureichenden Beweisen die Zustimmung der Leute zu erlangen.

Ferner bedeutet Zetetik für uns alles, was sich auf die Erziehung zum kritischen Denken bezieht. Indem wir uns der untersuchten seltsamen Phänomene bedienen, zeigen wir die Denkfehler auf, die klassischen Irrtümer der Interpretation, die Sophismen, die mentalen Mechanismen des Verharrens in der Anhängerschaft. Der Zweck ist es, die Leute dahin zu bringen, ein Arsenal von Werkzeugen der intellektuellen Selbstverteidigung auszuarbeiten, angesichts aller Bemühungen, die ihr Urteilsvermögen trügerisch beeinflussen könnten.

 

Klarerweise kämpfen meine Kollegen und ich gegen die Probleme, die Sie beschäftigen. Wir wissen, dass die Vereinigungen gegen Sekten, die örtlichen ADFI [3] oder die GEMPPI in Frankreich keine oder weniger Arbeit hätten, wenn wir, die Erzieher zum kritischen Denken, zahlreicher wären oder unsere Arbeit besser machten. Die Strategie besteht daher darin, diese Erziehung auf allen Ebenen zu entwickeln: eine Art von Vorbeugung gegen Sektierertum an der Quelle. Dies erscheint uns umso leichter, weil die ins Spiel gebrachten Begriffe einfach sind und keiner ausgesprochen wissenschaftlichen Bildung bedürfen.

 

Die Sprache ist die erste chronologische Quelle der sektiererischen Entfremdung. Viele Menschen lassen sich durch die Sektenspirale einfangen, ausgehend von einer sprachlichen Nähe, einer Art von intellektueller stillschweigender Gemeinsamkeit auf der Basis eines gemeinsamen Wortschatzes. Deshalb habe ich mich gemeinsam mit Didier Pachoud [4] entschlossen, zu Ihnen darüber zu sprechen. Ich werde zwei Vorbedingungen nennen, die mir wichtig erscheinen.

 

Erstens, das beste Mittel, das ich kenne, um jemanden zu lehren, einen intellektuellen Irrtum oder eine Falle zu entdecken, ist, sie beim Namen zu nennen.

 

Zweitens, das beste pädagogische Mittel ist es, ihm einen Namen zu geben, der leicht zu merken ist.

 

Es gibt vier Punkte, über die ich während meines Vortrags sprechen werde und deren Illustrationen leicht durch andere ersetzt werden können, in Ihrer Sprache, in Ihrem Land, in Ihrer gesellschaftlichen Gruppe. Es handelt sich um

 

1)      Ausdrücke mit wissenschaftlichem « Anstrich », aber entstellt, wie Energie, Resonanz, Magnetismus, usw. Um diese Sinnentstellungen eines Wortes zu kennzeichnen, sprechen wir in der Zetetik vom Fußabstreifer-Effekt. Warum Fußabstreifer? Deshalb, weil über Fußabstreifern öfters geschrieben steht: „Füße abputzen“. Jedoch zieht niemand seine Schuhe aus und putzt wörtlich seine Füße ab. Die Sinnentstellung, hier ohne Folgen, könnte in bestimmten Fällen dramatische Auswirkungen haben.

 

2)      Intuitive „Alles hinein“-Konzepte: das Gleichgewicht (und die Unausgeglichenen), die Fluiden, die Spannungen , die Aura, das Wohlbefinden, die persönliche Entwicklung. Wir sprechen in der Zetetik vom Einschlag-Effekt, weil die Wahl der Worte nicht nur auf ihrer Bedeutung beruht, sondern auch auf dem affektiven Einschlag, den sie erzeugen.

 

3)      Die Rhetoriken: drei zumindest sind sehr leicht zu erklären. Die Rhetorik des Initiationsgeheimnisses, das es erlaubt, der „Beute“ zu schmeicheln. De Rhetorik der äußeren Verschwörung, die es erlaubt, sie zu isolieren. Schließlich die Rhetorik der Abschreckung oder des falschen Dilemmas, die darin besteht, die Illusion zu erzeugen, dem eigenen Lager gebühre Anerkennung, indem man eine konkurrierende Disziplin herabsetzt.

 

4)      Unscharfe Ansprüche. Zeigen, dass bestimmte sektiererische Theorien ziemlich nebulos sind, so dass der Anhänger, auch wenn sie keine tatsächliche Wirkung haben, die behaupteten Wirkungen nicht selbst überprüfen kann und sich jeder Kontrolle über seine Praktik beraubt sieht.

 

Alle Bemühung sollte darin bestehen, Beispiele zu finden, die, in die sozio-linguistische Sphäre Ihrer Öffentlichkeit übertragen, diese sensibilisieren und sich Ihrem Gedächtnis einprägen könnten. Erinnern wir daran, dass, wenn das sektiererische Engagement zu unglaublichen Dramen führt, sein Anfang im Allgemeinen völlig harmlos erscheint. In einer Art von erster Hilfe vom frühesten Alter an erlaubt diese Skala der Werkzeuge der intellektuellen Selbstverteidigung jedem einzelnen, seine Entscheidungen bei voller Sachkenntnis zu treffen, und entschärft ein wenig die Kosten der schrecklichen menschlichen Dramen.

[1] Groupe d’étude des mouvements de pensée en vue de la prévention des individus, Mitglied der FECRIS

[2] „Pour une didactique de l’esprit critique – zététique & utilisation des interstices pseudoscientifiques dans les médias“, à l’adresse suivante : http://www.observatoire-zetetique.org/page/dossier.php?ecrit=2&ecritId=86

[3] Associations de Defense de la Famille et de l’Individu victimes de sectes – Vereinigungen zur Verteidigung der Familie und des Individuums, die Sektenopfer sind

[4] Didier Pachoud ist Vorsitzender der GEMPPI