Lardeur

Sekten und Bildung in Unternehmungen

Thomas Lardeur, Historiker, Journalist und Buchautor, Frankreich

Seit etwa 15 Jahren haben sich die Sekten bedeutend strukturiert, um auf systematische, ja beinahe mathematische Weise in allen Sphären unseres Lebens zu investieren: die Welt der Erziehung (die zweite Generation von Anhängern, die Zukunft), aber auch die Welt der Gesundheit, die Welt der Arbeit, die Welt des Humanitären, die Welt des Intimen …

Als Ergebnis haben sich die von den Gurus entwickelten Methoden reduziert, Geschichte ist es zunächst, auf die Anhänger in allen Facetten ihres Lebens dauernden Druck aufrecht zu erhalten, vom Morgen bis zum Abend, Geschichte ist es dann auch, von diesen gleichen Anhängern zu profitieren, um sich zu entwickeln. Tatsächlich sind die Anhänger auch Arbeitnehmer und Arbeitgeber und daher nützliche Schachfiguren, um die guten Botschaften der Gurus in der Arbeitswelt zu verbreiten.

In Frankeich hat sich das Gesetz von 1971, das den Markt der Berufsbildung regelt, als gefundenes Fressen für die Sekten entpuppt:

  • ein sehr einträglicher Markt von fast 25 Milliarden Euro
  • ein sehr freier Markt, der es vereinfacht ausgedrückt jedem Beliebigen erlaubt, alles Beliebige zu tun, und dies ohne großes Risiko.

Als Ergebnis haben sich zahlreiche Sekten in die Bresche gestürzt und ihre Anhänger veranlaßt, ihren eigenen Bildungsorganismus aufzubauen, um die Methoden, welche ihre Gurus entwickelt haben, gegen Lizenzgebühren zu verkaufen (Beispiele: Landmark Education, Transzendentale Meditation, ………)

Mit Ausnahme der Scientology-Kirche haben sich alle diese Sekten auf dem Markt der Persönlichkeitsentwicklung positioniert. Das Prinzip? Die Kursteilnehmer werden eingeladen, ein Abenteuer zu erleben, das sie dazu verleiten wird, ihre Gewohnheiten zu ändern – welche sie scheinbar einengen -, um andere zu wählen, die ihnen Entfaltung und Wohlbefinden, die Fähigkeit sich zu behaupen, ihr kreatives Potenzial zu entwickeln, kurz sich besser zu kennen um besser handeln zu können, ermöglichen. Diese Kurse dienen insbesonders dazu, den Arbeitnehmern zu helfen, ihren Stress – die häufigste Berufskrankheit – besser zu bewältigen, sich öffentlich besser auszudrücken, sich besser zu konzentrieren …

Da die Besonderheit dieser Methoden auf den Energien, auf der Öffnung der Chakren und der Kommunikation mit den Engeln beruht, ist ihre Wirksamkeit zum Unterschied von technischer oder sprachlicher Bildung nicht messbar. Wie soll man Methoden beurteilen, die man nicht lernt sondern spürt?

Man könnte sich bezüglich der Zweckdienlichkeit der Finanzierung der Kurse durch die Unternehmen fragen, die von einer freiwilligen Maßnahme entbinden und die die Persönlichkeit des Individuums berühren. Man kann sich ebensosehr vorstellen, daß die Angestellten bestimmte Aspekte ihrer Persönlichkeit oder ihres Privatlebens ihrer beruflichen Umgebung nicht offenlegen möchten, Informationen, die ebenso auch gegen sie selbst verwendet werden könnten …

Nichtsdestoweniger dauert diese Methode seit etwa zwanzig Jahren fort und bildet jedes Jahr fast 400.000 Personen in Frankreich aus, aus einem einfachen Grund: Die Arbeitgeber wollen Ergebnisse und wenden sich an diese Welt des Irrationalen, um die Lösung ihrer Probleme zu suchen, auf die Gefahr hin, diese ihren Arbeitnehmern aufzuerlegen, die alle Schwierigkeiten haben werden, in einem Land, in dem es fast 3 Millionen Arbeitslose gibt, eine Forderung ihrer Hierarchie abzulehnen. Zahleiche Arbeitgeber akzeptieren es auch, diese Art von Kursen für ihre Arbeitnehmer zu finanzieren, die sie darum ersuchen, statt dessen lehnen sie jede Gehaltserhöhung ab …

Sollte man sich beunruhigen? Sicher.Man muß jetzt wissen, daß die Sekten zahlenmäßig nur einen winzigen Teil dieses Marktes ausmachen. Und das es wahrescheinlicher ist, einem Betrüger oder einem Inkompetenten hereinzufallen als einer Sekte.

Außerdem können jene Unternehmungen, die es wünschen, sich einfach dadurch schützen, indem sie sich weigern, Kurse für Persönlichkeitsentwicklung zu finanzieren. Kurz, dies ist ein Problem, das keines sein müßte.

Für die Unternehmen beschränkt sich das Sektenproblem nicht allein auf diese Kurse.

 

  • der Bekehrungseifer der Arbeitnehmer

 

Schwierig abzuschätzen. Es gibt Urteile, Fälle, Situationen von Fall zu Fall.

Es gibt eine Lösung: Internes Reglement, das den Ausschluß von Gesprächen vorsieht, die persönliche Glaubensansichten der Arbeitnehmer betreffen.

 

  • Der Sonderfall des Weltinstituts der scientologischen Unternehmungen, WISE

 

Scientology ist die einzige Sekte, die über ein Netz von 2700 Unternehmen verfügt, strukturiert, vernetzt, in etwa 40 Ländern etabliert.

Der Hauptzweck dieses Netzes ist es, „die wirtschaftliche Szene zu verbessern“, um „eine neue Zivilisation zu fördern“ und „den Planeten zu klären“, das heißt, daß auf diesem nichts anderes mehr besteht als Scientology.

Diese Unternehmen arbeiten auf allen wirtschaftlichen Sektoren: in der Berufsbildung quer durch die klassischen Lehrgänge (Management, Communication …), aber auch im Bauwesen, in Versicherungen … Oder auch in der Informatik. Beispiel von Panda

Mehrere neuere Urteile in Frankreich haben gezeigt, daß das Arbeiten in einer Scientologenfirma zu einem gewissen Bekehrungseifer (denn er ist erforderlich! Field staff member, 10 bis 15% Tantiemen) und zu einer indirekten Finanzierung von Scientology führt. Das Problem ist umso realer, als die meisten solchen Unternehmen ihre Zugehörigkeit zu Scientology nicht an die große Glocke hängen und es vorziehen, versteckt zu agieren. Das Ergebnis ist Betrug bezüglich der Ware. Ein einziges Urteil in Frankeich: Diace Conseil.

Diese Darstellung zeigt, daß man in allen Fällen ganz allgemein zwei Arten von Problemen unterscheiden muß: Das der kleinen Sekten, die eine Gefahr für den Einzelnen darstellen, und das der internationalen Sekten, die nicht nur eine Gefahr für den einzelnen, sondern auch für die Demokratie bedeuten .

1.Die kleinen Sekten

Es wird immer welche davon geben, denn es gibt immer Menschen, die bereit sind, andere auszunützen und das Gesetz zu umgehen, das gehört zur menschlichen Natur. Deshalb wird man sie niemals hindern können zu existieren. Und es wird immer Opfer geben.

Man weiß dennoch, daß in fast allen Fällen diese Gruppen mit dem Tod ihres Gurus verschwinden. Und daß ihre Ausstrahlung beträchtlich abnimmt, wenn man ihre Taten veröffentlicht.

Man muß sie daher vor allem dauernd überwachen können. Und dazu zeigt die französische Erfahrung, daß außer einer angepaßten Gesetzgebung die Vereinigungen, die polizeilichen Dienste und die Medien bei weitem ausreichen, um den dringendsten Problemen zu begegnen.

Es ist weiter nicht sehr viel zu tun.

2. Die internationalen Sekten, insbesonsdere die Scientology-Kirche und die Zeugen Jehovas

Die internationalen Sekten stellen uns vor die Entscheiung, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Angesichts dieser Frage müssen wir feststellen, daß das Problem ausschießlich politisch ist.

Dieses Problem findet seinen Ursprung in der ersten parlamentarischen Enquetekommission von 1955 in Frankreich und im Verhalten Deutschlands gegenüber Scientology. Als Reaktion darauf haben die Sekten durch Lobbying erreicht, daß der amerikanische Kongress ein Gesetz bezüglich der Religionsfreiheit in der Welt beschlossen hat. Ein einseitiges und schockierendes Gesetz, das hauptsächlich gegen bestimmte europäische Länder gerichtet ist, die sich weigern, die Sekten als „Neue religiöse Bewegungen“ zu betrachten, vor allem Frankreich und Deutschland. Zwei Länder, die sich seitdem zusammen mit anderen in jedem amerikanischen Bericht kritisiert sehen.

Eine andere Folge ist die, daß die Amerikaner fast überall intervenieren, um das französische und deutsche Verhalten zu brandmarken. So ist es in bestimmten Gerichtsverfahren in Deutschland und auch innerhalb aller internationalen Instanzen. Das Ergebnis ist einfach das, dass man nichts gegen Scientology oder die Zeugen Jehovas sagen oder tun kann, ohne einer amerikanischen Kritik unterzogen zu werden.

Hubert Védrine, seinerzeitiger Außenminister in der Regierung Jospin, hatte damals den Mut, an seinen amerikaischen Counterpart Madeleine Albright zu schreiben, um ihr seine Gegnerschaft zu einer solchen Problembehandlung mitzuteilen. Er wurde dann durch Alain Vivien abgelöst, den damaligen Vorsitzenden der Interministeriellen Mission zum Kampf gegen die Sekten, der in jedem seiner Berichte das amerikanische Verhalten anprangere und mutig die französische Position verteidigte.

Die Regierung Raffarin hat sich entschlossen, dieses Verhalten radikal zu ändern, indem ganz einfach die Existenz dieses amerikanischen Gesetzes geleugnet wurde. Ein bestürzendes Verhalten, denn wie kann man auf anständige Art denken, daß dieses Gesetz keinen Einfluß von Seiten eines Landes hätte, das dafür bekannt ist, nicht oft Ratschläge von dieser oder jener Seite zu berücksichtigen, und seien sie auch von der UNO. Die diplomatischen Gründe scheinen über das Interesse der Opfer, derzeitiger aber auch zukünftiger, gestellt zu werden.

Ein Wort zur gegenwärigen französischen Poltik.

  • Der Kampf gegen die sektiererischen Abweichungen, das Rückgrat der Poltik der Regierung Raffarin.

Die sektiererischen Abweichungen anzugreifen, ohne sich um den Ursprung dieser Entgleisungen zu kümern, ist ein Widerspruch. Ein Beispiel, der Eintritt in Scientology. Die Falle der Scientology besteht im Persönlichkeitstest und in der Art, wie die Scientologen, zu diesem Zweck ausgebildet, die „Handhabung des Individuums“ verstehen (beschrieben im Lyoner Prozess, 4 Seiten in meinem Handbuch). Wer den Test beantwortet, hat bereits einen Fuß in der Sekte.

Andere Beispiele? Der Fall der Kinder bei den Zeugen Jehovas, der Freiheit beraubt, um den strikten und verändernden Regeln folgen zu müssen? Ich würde nicht gerne ein Kind bei den Zeugen Jehovas sein.

Das Problem der internationalen Sekten liegt in ihrer Natur selbst, in ihrer Organisation selbst. Sie erzeugen selbst die Abweichungen. Es wird immer Abweichungen geben, wenn man sich weigert, die Sekten direkt anzugreifen.

  • „Das Sektenphänomen ist heute unter Kontrolle“

Das ist ein französisch-französicher Zugang zu dem Problem, oberflächlich und durch Unterlassung trügerisch.

Die großen Sekten sind nicht im Rückzug begriffen, sie schlafen nur auf unserem Territorium. Und es ist leicht zu verstehen, warum. Man ist heute nicht sehr angesehen, wenn man einer Sekte in Frankreich angehört. Aber indessen entwickeln sich die selben Sekten in der übrigen Welt. Und eröffnen sogar ein Lobbying-Büro in Brüssel. Der Fall Frankeich ist für die Sekten nur ein vorübergehender Schicksalsschlag.

Das Problem ist heute politisch. Die politischen Parteien sollten sich freimütig über alle wesenlichen Fragen äußern.

Aber abgesehen davon werden die Politiker nicht intervenieren, wenn sie die Notwendigkeit dazu nicht spüren. Es bleibt daher vor allem Sache der Vereinigungen, die Politiker und die große Öffentlichkeit bezüglich dieser gesellschaftlichen Fragen herauszufordern. Bisher bleiben sie jedoch zurückhaltend, zu sehr zurückhaltend

Es ist an euch, auf die Politiker Druck auszuüben, um die Amerikaner zu veranlassen, ihr Gesetz zurückzuziehen, denn es ist unmöglich, mit einem Damoklesschwert zu diskutieren, das auf das Haupt gerichtet ist.

Es ist an euch, FECRIS, mit bestimmten europäischen Ländern eine gemeinsame Politik in Bezug auf die religiöse Freiheit und die Sekten zu definieren, die den amerikanischen Maßnahmen widerspricht.

Ich bleibe auf jeden Fall überzeugt, daß, wenn man heute nichts tut, das Problem der Sekten in dreißig oder vierzig Jahren dasselbe sein wird wie heute der Integrismus und der Islamismus.

Eine erfreuliche Initiative wäre es, Land für Land eine Liste der verschiedenen Zugänge zur Sektenfrage zu erstellen. Und über ein praktisches Handbuch zu verfügen, das in jedem europäischen Staat vertrieben werden soll.