Carlhoff

Hans-Werner Carlhoff

 Leiter der Baden-Württembergischen Interministeriellen Arbeitsgruppe

für Fragen so genannter Sekten und Psychogruppen,

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart

 

Sekten und Psychogruppen in Baden-Württemberg:

Situation – Gefährdungspotentiale – Herausforderungen

 

 

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

es ist für mich eine große Ehre und Freude, heute auf der FECRIS-Konferenz hier in St. Petersburg zu sprechen. Ich darf Ihnen die besten Grüße von Herrn Kultusminister Helmut Rau übermitteln, der dieser Konferenz einen guten Erfolg wünscht.

Dem Auftreten und den Aktivitäten von so genannten Sekten und Psychogruppen steht die Landesregierung von Baden-Württemberg seit Jahren unverändert kritisch gegenüber. Immer wieder hat die Landesregierung diese Haltung in den letzten beiden Jahrzehnten in verschiedenen Dokumenten und offiziellen Verlautbarungen in der Öffentlichkeit, aber auch im Parlament, dem Landtag von Baden-Württemberg, und durch Initiativen im Bundesrat, in dem die 16 Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland vertreten sind, deutlich gemacht:

Sekten und Psychogruppen können in ihrem Wirken eine ernsthafte Gefahr für Staat und Gesellschaft bedeuten. Die Landesregierung duldet keine Parallelgesellschaften, Extremisten haben in Baden-Württemberg keine Chance und auch in Zukunft wird es die Landesregierung nicht akzeptieren, dass Religion für extremistische Zwecke missbraucht wird.

 

Statistische Grunddaten

 

Das Land Baden-Württemberg hat annähernd 11 Millionen Einwohner. Baden-Württemberg gehört durch seine Industrie und die wissenschaftlich-technologische Forschung zu den wirtschaftsstärksten Regionen Europas. Namhafte Firmen und traditionsreiche Unternehmen wie Daimler, Bosch und Porsche haben ihren Ursprung und ihre Heimat in Baden-Württemberg.

Baden-Württemberg liegt im Herzen Europas. Unmittelbare europäische Nachbarn sind Frankreich, die Schweiz und Österreich. Das Land ist mit durchschnittlich 298 Einwohnern pro Quadratkilometer sehr dicht besiedelt.

Angehörige von verschiedenen Glaubensgemeinschaften und Kirchen leben in Baden-Württemberg friedlich miteinander:

– etwa 4 Millionen Katholiken,

– etwa 3,6 Millionen Angehörige der evangelischen Kirchen,

– etwa 600.000 Muslime, deren Zahl in den nächsten Jahren stark weiter wachsen dürfte und

– etwa 9.000 Menschen jüdischen Glaubens.

 

Baden-Württemberg hat einen hohen Anteil von ausländischen Mitbürgern vor allem aus Süd- und Südosteuropa, vor allem aber aus der Türkei. Die Statistik geht von einem Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung von etwa 11% aus.

 

Verfassungsrechtliche Situation

 

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland – das Grundgesetz – und die Verfassung des Landes Baden-Württemberg bestimmen: Das Zusammenleben der Menschen in unserem Lande beruht auf

– der Achtung der Grund- und Menschenrechte,

– der Befolgung der geltenden Gesetze,

– der Beachtung der Gleichberechtigung von Frau und Mann

– und dem Respekt vor den religiösen Überzeugungen der Mitbürger.

 

Staatliches Handeln ist vor allem dann gefordert, wenn durch Sekten und Psychogruppen

– die psychische Gesundheit,

– die körperliche Unversehrtheit und vor allem

– die Freiheit der Menschen

gefährdet werden.

 

In Deutschland ist Regierungshandeln stark geprägt von dem historischen Bewusstsein, welch verheerende Folgen extremistische, antidemokratische Strukturen und Ideologien für Menschen haben können. Die Verteidigung der demokratischen Verfassung genießt deshalb höchste Priorität. Dies dürfte auch Grund dafür sein, dass Staat und Gesellschaft mit großer Wachsamkeit auf Entwicklungen und Aktivitäten von Sekten und Psychogruppen – insbesondere auch hinsichtlich Scientology – reagieren.

Immer wieder fordern zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs bei staatlichen Stellen im Lande ihren Anspruch auf Schutz vor psycho-manipulativen Techniken sowie problematischen Heilsversprechungen verschiedenster Anbieter. In Briefen, E-Mails sowie Eingaben und Petitionen, teilweise sogar durch persönliches Erscheinen in Ministerien und Verwaltungen wird deutlich gemacht, dass es viele Menschen gibt, die sich durch Angebote von und dem Kontakt zu Sekten und Psychogruppen in ihren Freiheitsrechten beeinträchtigt sehen.

 

  1. Zur Situation in Baden-Württemberg bezüglich Sekten und Psychogruppen

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

In Baden-Württemberg – wie auch in anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland – treten seit Ende der 70-er/Anfang der 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts verstärkt Gruppierungen in Erscheinung, die im Gewande neureligiöser und ideologischer Strömungen mit manipulativen, nicht selten repressiven und aggressiven und gleichzeitig subtilen Methoden Menschen von sich abhängig machen wollen.

Diese Erscheinungen sind europaweit, wie die verschiedenen Entschließungen des Europäischen Parlaments deutlich machen.

Bei den Gruppierungen und Organisationen handelt es sich nicht um traditionelle kirchliche Sondergemeinschaften, sondern um teilweise weltweit auftretende neue religiöse und/oder ideologische Gemeinschaften oder um Gruppierungen, die sich als solche selbst definieren (also auch um pseudoreligiöse Kreationen) sowie um eine Vielzahl unterschiedlicher sog. Psychogruppen.

Im Blickpunkt stehen seit etwa 15 Jahren auch stark missionierende Gruppierungen, die ihren Ausgangspunkt vor allem in der protestantisch-charismatischen Szene Nordamerikas haben. Teilweise erfolgt die Missionierung ohne Rücksicht auf kulturelle Sichtweisen des Glaubens und der Gesellschaft Mitteleuropas; zuweilen nehmen die Verbreitungsaktivitäten dieser Gruppierungen auch durchaus aggressiv-kämpferische Formen an.

Für Baden-Württemberg gilt: Aufgrund der registrierten Bearbeitungsfälle bei der Geschäftsstelle der Interministeriellen Arbeitsgruppe für Fragen so genannter Sekten und Psychogruppen und unter weiterer Berücksichtigung von Bürgeranfragen sowie der Auswertung von einschlägigen Selbstdarstellungen können etwa 120 – 130 verschiedene Organisationen und Gruppierungen festgestellt werden, die ganz oder teilweise Kriterien erfüllen, wie sie die Deutsche Bundesregierung bezüglich Sekten und Psychogruppen einschließlich der mit ihnen rechtlich, wirtschaftlich oder in ihrer religiösen oder weltanschaulichen Zielrichtung verbundenen Organisationen aufgestellt hat. Diese Kriterien sind in der Bundestags-Drucksache 13/4132 dokumentiert.

Die einzelnen Gruppierungen unterscheiden sich allerdings erheblich durch Mitgliederzahl / Anhängerschaft und in ihrer Organisationsdichte. Für Baden-Württemberg ergibt sich im Vergleich zu früheren Jahren, dass die Zahl der einschlägigen Organisationen und Gruppierungen in etwa gleich geblieben ist.

Wenn die in der vorgenannten Bundestags-Drucksache aufgeführten Kriterien zur Charakterisierung konfliktträchtiger Gruppierungen angesetzt werden, kann für Baden-Württemberg von einem Kernpotenzial von etwa 30.000-35.000 Personen, die sich in Sekten und Psychogruppen betätigen, ausgegangen werden. Teilweise dürfte sich dieser Personenkreis auch „rollierend“ zwischen einzelnen Gruppen bewegen, so dass Mehrfach-„Mitgliedschaften“ nicht auszuschließen sind. Es ist anzunehmen, dass der Kreis der „Sympathisanten“ eine vielfach größere Zahl ausmacht. Die hierzu zuzurechnenden Personen dürften oft in herkömmlichen religiösen und weltanschaulichen Gruppen zumindest formal integriert sein.

Es hat sich gezeigt, dass die Zuordnung einer Gruppierung zum Bereich „Sekten und Psychogruppen“ teilweise zu weitreichenden rechtlichen Auseinandersetzungen führt. Gegen die Benennung in diesem Bereich haben die Gruppierungen

– Bhagwan/Osho-Bewegung

– Transzendentale Meditation

– Universelles Leben u. a.

beim Bundesverfassungsgericht, dem höchsten Gericht der Bundesrepublik Deutschland, Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil sie sich diskriminiert sehen und sich selbst als Religionsgemeinschaft betrachten. Allein schon wegen dieser rechtlichen Schwierigkeiten wird von der Landesregierung von Baden-Württemberg keine „Liste“ von einschlägigen Gruppierungen veröffentlicht.

Die Szene der Sekten und Psychogruppen ist in einem ständigen Wandel begriffen. Zu berücksichtigen ist, dass viele dieser Gruppierungen mit Tarn- und Untergruppierungen operieren. Es hat sich gezeigt, dass die Namen und Bezeichnungen häufig wechseln. In manchen Fällen haben die Gruppierungen mehrere unterschiedliche Namen. So fallen beispielsweise für die „Große Weiße Bruderschaft“, die auch in Baden-Württemberg vertreten ist, folgende wechselnde Bezeichnungen an: „Universelle Kirche“, „Bruderschaft der Menschheit“, „Das Fundament für Höheres Geistiges Lernen“, „Welt-Fundament für Naturwissenschaft“, „Das Innere Licht“ usw.

Teilweise gibt es Gruppierungen, bei denen es sich um Kreationen mit einem sehr kleinen – eher lokalen – Wirkungskreis handelt. Vielfach sind jedoch die hier zu betrachtenden einschlägigen Gruppen bundesweit aktiv. Die überwiegende Zahl der Gruppierungen ist expansionsbestrebt, so dass sich Niederlassungen auch im europäischen Ausland und in Übersee befinden.

Ein Großteil der Gruppierungen kommt aus dem Ausland und wird in der Bundesrepublik Deutschland aktiv. Die Funktionäre dieser Gruppierungen sind teilweise ausländische Staatsbürger. Es ist auffallend, dass die meisten dieser international ausgerichteten Gruppierungen ihren Sitz in den USA haben.

Neben einer Vielzahl von Sekten, Psychogruppen und obskuren, meist kleineren Vereinigungen, die mit okkulten und satanistischen Praktiken für Aufsehen sorgen, bilden die Aktivitäten der von dem Amerikaner L. Ron Hubbard gegründeten Scientology-Organisation bzw. die Dianetik-Zentren einen besonderen Problembereich.

Scientology ist der unbestrittene „Marktführer“ auf dem Sektensektor – eine im Wesentlichen politisch und kommerziell ausgerichtete Organisation, die unter dem pseudoreligiösen Deckmantel einer Religionsgemeinschaft agiert und damit die von der Verfassung unseres Staates, dem Grundgesetz, garantierte Religionsfreiheit für sich in Anspruch nimmt.

Baden-Württemberg ist eindeutig „Zielgebiet“ einer intensiven Scientology-Propaganda. Vielfach lassen sich die „Werbeimpulse“ auf die Scientology-Zentrale in den USA zurückführen. Als Schaltstellen der zentralen Organisation betätigen sich in Europa dabei das „European Office for Public Affairs and Human Rights“ in Brüssel/Belgien, gewissermaßen das europäische Büro der Scientology, ferner die Zentrale der Scientology für Kontinentaleuropa in Kopenhagen/Dänemark.

Die Scientology-Organisation wird in Baden-Württemberg seit rund 12 Jahren durch das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Diese Beobachtung hat in beachtlichem Umfang Licht in die teilweise konspirativ handelnde Organisation gebracht. Die Überprüfungen der Scientology-Organisation durch den Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hat deutlich gemacht: Es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass von der Scientology-Organisation Bestrebungen ausgehen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung unseres Staates gerichtet sind.

Scientology besitzt in Baden-Württemberg einen ihrer größten Stützpunkte in Deutschland und ein sehr dichtes organisatorisches Netz. Es besteht aus einer „Class V Org“ („Kirche“) in der Landeshauptstadt Stuttgart und drei „Missionen“ in den Städten Ulm, Karlsruhe und Göppingen sowie sechs weiteren kleineren „Missionen“, die teilweise unverfängliche Tarnnamen wie „Zentrum für Lebensfragen“ usw. tragen. Die Scientology-Unterorganisation „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ (KVPM) ist in Stuttgart und Karlsruhe vertreten. In Baden-Württemberg soll vor allem der Scientology-Wirtschaftsverband „World Institute of Scientology Enterprises“ für eine Verbreitung der Lehren von Scientology-Gründer Hubbard in Wirtschaft und Politik sorgen. Darüber hinaus finden sich in Baden-Württemberg verschiedene Organisationen, die in Verbindung mit Scientology stehen und teilweise als „Tarnorganisationen“ von Scientology angesehen werden müssen: Mit ihrer Kampagne „Jugend für Menschenrechte“ will Scientology gerade auch den Idealismus junger Menschen ausnutzen. Auch mit den Nachhilfekursen von „Applied Scholastics“ versucht Scientology an Kinder und Jugendliche heranzukommen. Inzwischen werden in Baden-Württemberg immer öfter Jugendliche durch ihre Eltern, die langjährige Scientology-Angehörige sind, an Scientology herangeführt.

Eine dynamische Mitgliederentwicklung gelang der Scientology-Organisation in Baden-Württemberg in den letzten Jahren jedoch nicht. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass Scientology in der mitgliederorientierten Propaganda offen das Ziel formuliert, Kontrolle und politische Macht zu gewinnen. Die Scientology-Organisation fordert in diesem Zusammenhang ihre Anhänger mit teils aggressivem Unterton auf, den ihr gegenüber bestehenden aktiven Widerstand wortwörtlich „aus dem Weg zu räumen“.

Die tatsächlichen Mitglieder- und Anhängerzahlen von Scientology in Baden-Württemberg sind mit 1.100 Personen – trotz der vermeintlich geringen Zahl – dennoch ein ernst zu nehmendes Potential. Immerhin kann sich Scientology auf eine finanziell sehr schlagkräftige Zentrale stützen. Wie die Verfassungsschutzberichte zeigen, gelingt es der Organisation in Baden-Württemberg in die private Lebensgestaltung der Mitglieder einzugreifen.

 

  1. Die staatliche Kompetenz zur Abwehr von Gefahren, hervorgerufen durch Kult- und Psychogruppen/Scientology

 

Entscheidend für die Abwehr von Gefahren, hervorgerufen durch Kult- und so genannte Psychogruppen/Scientology ist der Beschluss vom 26. Juni 2002 (1 BvR 670/91) des Bundesverfassungsgerichts, dem höchsten Gericht in der Bundesrepublik Deutschland. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt demnach: Dem Staat ist es im Blick auf die Verfassung grundsätzlich verwehrt, bewertende Informationen über Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften an Bürger weiterzugeben. Besteht jedoch gegenüber einer neuen religiösen/ideologischen Gruppierung oder einer so genannten Psychogruppe die Annahme für eine Gefahr für die Menschen, wird ein Einschreiten des Staates ermöglicht. Es reicht hier sogar der bloße Verdacht für eine Gefahr aus. Zulässiges Handlungsmittel des Staates im Angesicht einer solchen Gefahrenlage ist insbesondere die Aufklärung der Öffentlichkeit. Ein Konfliktpotential ergibt sich bei einer Vereinigung insbesondere dann, wenn ihr Menschen- und Gesellschaftsbild in grundsätzlichem Gegensatz zur Werteordnung der demokratischen Verfassung steht.

Das bedeutet: Der Staat hat eine Kompetenz zur Abwehr von Gefahren, hervorgerufen durch Kult- und Psychogruppen wie Scientology. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei den Gruppierungen um Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften handelt oder diese Gemeinschaften nur vorgeben, „Kirche“ zu sein. Diffamierende, diskriminierende oder verfälschende Darstellungen einer religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft sind dem Staat allerdings untersagt. Für staatliche Stellen gilt demnach, dass es belegbarer Tatsachen bedarf, um zu einzelnen Erscheinungen und Gruppierungen kritisch Stellung zu nehmen.

 

  1. Interministerielle Arbeitsgruppe für Fragen so genannter Sekten und Psychogruppen (IMA-SuP)

 

Das Land Baden-Württemberg hat mit Kabinettsbeschluss bereits am 21. Juni 1993 eine ständige Interministerielle Arbeitsgruppe für Fragen so genannter Sekten und Psychogruppen (IMA-SuP) gebildet. Diese Arbeitsgruppe ist beauftragt, Staat und Gesellschaft über die Tätigkeit sog. Sekten und Psychogruppen zu informieren und erforderlichenfalls zu warnen. Diese Interministerielle Arbeitsgruppe wird von mir seit ihrer Gründung geleitet.

Der Interministeriellen Arbeitsgruppe gehören als ständige Mitglieder das Innenministerium, das Kultusministerium, das Justizministerium, das Wirtschaftsministerium und das Sozialministerium an, die jeweils einen Vertreter entsenden, der für die Erledigung der in den jeweiligen Ressortbereichen anfallenden Tätigkeiten koordinierend verantwortlich ist. Das Staatsministerium, das Finanzministerium und das Wissenschaftsministerium werden nachrichtlich beteiligt. Federführung, Vorsitz und Geschäftsführung der Interministeriellen Arbeitsgruppe liegen beim Kultusministerium.

Baden-Württemberg war eines der ersten Bundesländer, das dem Auftreten sog. Sekten und Psychogruppen besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Bereits 1984 wurde im Geschäftsbereich des Kultusministeriums eine Fachstelle eingerichtet, um Aufbau, Struktur und Tätigkeit einschlägiger Gruppierungen zu beobachten.

Die Interministerielle Arbeitsgruppe koordiniert die Tätigkeiten der Ressorts zu allen Fragen, die Sekten und Psychogruppen betreffen. Dabei sind insbesondere folgende Bereiche angesprochen: Öffentliche Sicherheit, wirtschafts- und steuerrechtliche Fragen, arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Fragen, Gesundheit, schulische und außerschulische Erziehung, Aus- und Fortbildung von Fachkräften, Öffentlichkeitsarbeit.

Die beim Kultusministerium angesiedelte Geschäftsstelle der Interministeriellen Arbeitsgruppe hat die Aufgabe, einschlägige Materialien über die einzelnen Gruppierungen zu dokumentieren und Erkenntnisse mit den entsprechenden Stellen auf Bundes- und Länderebene zu vernetzen. Die Arbeit der Interministeriellen Arbeitsgruppe zielt auch darauf ab, den Austausch allgemeiner Informationen mit gesellschaftlich relevanten Gruppen sicherzustellen sowie die Zusammenarbeit mit einschlägigen Hilfs- und Beratungsstellen in Baden-Württemberg zu vertiefen.

Die Interministerielle Arbeitsgruppe erarbeitet zielgruppenorientierte Informationsmaterialien und bearbeitet parlamentarische Anfragen und Anträge zum Thema Sekten und Psychogruppen. In regelmäßigen Abständen werden der Landesregierung umfangreiche schriftliche Berichte vorgelegt. Am 2. Dezember 2008 wurde so von der Interministeriellen Arbeitsgruppe der 8. Bericht der Regierung des Landes Baden-Württemberg übergeben. Dieser Bericht ist inzwischen als offizielles Dokument des Landes Baden-Württemberg vom Landtag, d. h. von den Gremien des baden-württembergischen Parlaments behandelt und zur Information als Landtags-Drucksache veröffentlicht worden (Landtags-Drucksache 14/3613).

Zum Themenbereich Sekten und Psychogruppen finden Maßnahmen der Lehrerfortbildung (Multiplikatoren) sowie Informationsveranstaltungen im Bereich der Schule und Jugendarbeit statt. Weiterhin werden Veranstaltungen bei Polizei, Justiz, Wirtschaft, Eltern- und Lehrerverbänden sowie bei sozialen Einrichtungen durchgeführt. Dabei steht besonders die Aufklärung über das Wirken der Scientology-Organisation im Mittelpunkt. Über die wichtige Arbeit der Prävention in Baden-Württemberg, vor allem im Erziehungsbereich, wäre viel zu sagen, würde aber ein eigenes Referat erforderlich machen.

Ich möchte jedoch noch auf die Aspekte „Sekten und Psychogruppen“ in der Arbeit des Verfassungsschutzes, also der Behörde, die für die staatliche Sicherheit in Baden-Württemberg zuständig ist, eingehen:

Seit 1. Januar 1997 erfolgt durch das Landesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung der Scientology-Organisation in Baden-Württemberg mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Durch einen gemeinsamen Beschluss der Bundesregierung und der Bundesländer wird in ganz Deutschland seit 1. Juli 1997 die Scientology-Organisation durch die jeweiligen Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Eine Ausnahme bildet das Land Schleswig-Holstein aufgrund des dortigen Verfassungsschutzgesetzes. Die bisherigen Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörde haben die Befürchtungen der staatlichen Stellen bestätigt. Deshalb wird die Beobachtung, je nach Notwendigkeit, auch weiterhin fortgesetzt.

In der von mir geleiteten Interministeriellen Arbeitsgruppe ist ein Vertreter des Aufsichtsreferats im Innenministerium für den Verfassungsschutz präsent.

 

  1. Hilfsangebote für Betroffene sowie deren Angehörigein Baden-Württemberg

 

Opfer von sog. Sekten und Psychogruppen verfügen oft über keine eigenen Geldmittel mehr, um Beratung und Therapie oder gar Rechtsanwälte bezahlen zu können, weil sie ihren materiellen Besitz der Gruppierung übertragen haben. Finanzielle Engpässe bestimmen so oft die Situation von Aussteigern, aber auch von Familienangehörigen Betroffener.

Aus diesem Grunde muss auch in Baden-Württemberg vielfach die öffentliche Hand, die Sozialhilfe, die Arbeitslosenversicherung usw. die Lasten von ehemaligen Sektenmitgliedern übernehmen.

In Baden-Württemberg bestand in den Jahren 2000 – 2003 eine private stationäre Einrichtung, der „Odenwälder Wohnhof“. In dieser Einrichtung konnten Menschen einige Zeit leben, die materiell und beruflich durch Sekten und Psychogruppen geschädigt worden waren. Die Einrichtung wurde vom Land Baden-Württemberg und dem Bundesfamilienministerium sowie einer privaten Stiftung gefördert. Die Zeit im Wohnheim wurde therapeutisch und für den Aufbau einer neuen beruflichen Existenz genutzt. Seit 2004 wird der ambulanten Versorgung Priorität gegeben.

Die Baden-Württembergische Eltern- und Betroffeneninitiative zur Selbsthilfe gegenüber neuen religiösen und ideologischen Bewegungen e. V. (EBIS) kümmert sich vor allem um die Betreuung von Angehörigen und um Ausstiegswillige. Die Einrichtung erhält keinerlei staatliche finanzielle Unterstützung.

Im Bereich der evangelischen und katholischen Kirchen gibt es spezifische Fachstellen zur Information und Beratung hinsichtlich Fragen bezüglich Sekten und Psychogruppen.

Von Seiten des Landes Baden-Württemberg wird die Arbeit der „Beratungsstelle für Okkultismusgeschädigte“ (Parapsychologische Beratungsstelle) in Freiburg mit 98.000,- Euro und die Aktion Bildungsinformation (ABI) in Stuttgart mit über 102.000,- Euro gefördert. Beide Einrichtungen dienen der Prävention, Information und Beratung, wobei von der ABI auch Rechtsberatung geleistet wird.

 

  1. Schlussfolgerungen und Perspektiven

 

Mit großer Aufmerksamkeit und Besonnenheit ist seitens des Staates auf die ganz bewusste Provokation von einzelnen Gruppierungen zu reagieren, wenn diese – wie die Scientology-Organisation – unter Berufung auf ihre angebliche Religionseigenschaft ihre Propagandafeldzüge führen. Vieles spricht dafür, auf die mit außerordentlicher Intensität betriebene Propaganda der Sekten und Psychogruppen sowie Scientology nicht mit heftigen Gegenattacken zu antworten. Trotz der unübersehbaren Bedrohung durch Fanatismus und Extremismus sind Kommunikation und Dialog wichtig. Dennoch: Den einschlägigen Gruppierungen muss bewusst sein, dass die Menschen sie für ihr Handeln auch haftbar machen können. Gleichfalls gilt, dass erforderlichenfalls seitens des Staates auch die konsequente Anwendung der rechtsstaatlich zulässigen Mittel zur Gefahrenabwehr gegenüber Sekten und Psychogruppen notwendig werden kann.

Die Auseinandersetzung mit dem modernen Religionspluralismus befindet sich erst am Anfang und wird mit Bestimmtheit dieses, unser 21. Jahrhundert, kennzeichnen. Synkretistische Bestrebungen werden zunehmen. Solange Sekten und Psychogruppen und ähnliche Vereinigungen sowie okkult-satanistische Gruppen sich in ihrem tatsächlichen Wirken gegen elementare Freiheitsrechte der Menschen stellen und sich in deren Rechte subtil und teilweise auch konspirativ einmischen, bedroht dies den sozialen Frieden und gefährdet den Bestand der demokratischen Gesellschaftsordnung. Hier hat der Staat eine besondere Verantwortung. Der Bürger verlangt: Transparenz in der Information, Schutz vor Ausbeutung und kriminellen Praktiken. Und die Jugendlichen: Sie wollen klare Perspektiven und glaubwürdige Antworten. Das sind die Grundlagen, die gegen pseudoreligiöse Manipulation und destruktive Kulte schützen können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.